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Sieg bei Vorwahlen: Ist Trump noch zu stoppen?, Bundeswehr-Offiziere abgehört, Deutschlands ungerechtes Steuersystem, Mythos "Clankriminalität", Arbeitspflicht für Geflüchtete, Recht auf Abtreibung in Frankreichs Verfassung

Sieg bei Vorwahlen: Ist Trump noch zu stoppen?, Bundeswehr-Offiziere abgehört, Deutschlands ungerechtes Steuersystem, Mythos "Clankriminalität", Arbeitspflicht für Geflüchtete, Recht auf Abtreibung in Frankreichs Verfassung

Released Wednesday, 6th March 2024
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Sieg bei Vorwahlen: Ist Trump noch zu stoppen?, Bundeswehr-Offiziere abgehört, Deutschlands ungerechtes Steuersystem, Mythos "Clankriminalität", Arbeitspflicht für Geflüchtete, Recht auf Abtreibung in Frankreichs Verfassung

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Sieg bei Vorwahlen: Ist Trump noch zu stoppen?, Bundeswehr-Offiziere abgehört, Deutschlands ungerechtes Steuersystem, Mythos "Clankriminalität", Arbeitspflicht für Geflüchtete, Recht auf Abtreibung in Frankreichs Verfassung

Wednesday, 6th March 2024
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0:00

Herzlich willkommen zur Lage der Nation, Ausgabe Nummer 372

0:04

vom 6. März 2024.

0:07

Und an den Mikrofonen hier im Berliner Lagestudio begrüßen euch,

0:11

wie schon einmal im Dezember

0:13

des vergangenen Jahres, Ulf Buermeyer und:

0:16

Und zum zweiten Mal Jana Münkel.

0:19

Ich freue mich sehr, wieder dabei sein zu dürfen und

0:22

spring heute sehr gerne mit Ulf ins Pad.

0:24

Ja, sehr schön. Ich bin Jurist aus Berlin und freue

0:27

mich sehr, Jana wieder bei uns begrüßen zu dürfen.

0:30

Zu unserem ersten Thema. In den Vereinigten Staaten war am

0:34

Dienstag, dem 5. März, der sogenannte Super

0:38

Tuesday. Jana, was hat es denn damit auf sich?

0:40

Genau, da wurde in 15 Bundesstaaten

0:43

abgestimmt, unter anderem in Kalifornien, Texas, Colorado, Maine,

0:46

North Carolina. Und das ist eben so ein

0:49

Superwahltag. Der ist immer dienstags

0:52

und gilt als wesentlicher Meilenstein im Wahljahr

0:55

auf dem Weg hin zur Entscheidung,

0:57

wer wird Präsidentschaftskandidat

1:00

der Parteien?

1:00

Es ist ja so eine Besonderheit des amerikanischen Wahlsystems, dass

1:03

für die Präsidentschaftswahl eben so Vorwahlen stattfinden.

1:06

Das heißt, die Parteien wählen die Kandidierenden zwar auf

1:09

Versammlungen, aber die Delegierten für diese Versammlungen wiederum,

1:13

die werden nicht einfach irgendwie von der Partei bestimmt, sondern

1:17

eben im Zuge von Vorwahlen,

1:19

den sogenannten Primarys. Genau, und Jana hat es gesagt, der

1:21

Superwahltag ist ein, gilt als Meilenstein, einfach weil

1:25

da relativ viele Delegierte

1:27

für diese Nominierungsveranstaltungen

1:30

gewählt werden. Ja, die Wahllokale haben in der deutschen Nacht zu

1:34

Mittwoch geschlossen. Was sind denn so die ersten

1:36

Ergebnisse?

1:37

Also Trump liegt laut Prognosen

1:39

in mindestens 13 der 15 Bundesstaaten vorn.

1:42

Da muss ich vielleicht dazu sagen, das ist jetzt der 6.

1:44

März, Stand 10:30.

1:46

Also wenn ihr das hört, wird

1:48

es die anderen Ergebnisse auch noch geben. Aber das war

1:52

erwartet worden, dass Trump da sehr klare Siege einfährt.

1:56

Seine Konkurrentin Nikki Haley, die

1:58

hat nur in einem Bundesstaat bis jetzt gewonnen.

2:01

Das gilt so ein bisschen als Symbolerfolg.

2:04

Also sie hat da nochmal Hallo gesagt, aber es wird jetzt nicht erwartet,

2:07

dass das noch mal was ändert daran, dass Trump das Rennen macht

2:11

bei den Republikanern.

2:12

Ja, sieht gut aus für Donald Trump. Er wird wohl der republikanische

2:15

Kandidat sein. Für Joe Biden gilt auf

2:18

demokratischer Seite dasselbe.

2:20

Ihm ist die Kandidatur kaum noch zu nehmen.

2:23

Und Donald Trump hat ja in dieser Woche auch vom Supreme Court

2:26

Rückenwind bekommen, also vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten

2:30

Staaten. Dort hing nämlich ein Rechtsstreit.

2:33

Und zwar hatte der Supreme Court des Bundesstaats Colorado

2:37

Donald Trump von den Wahlzetteln für die Vorwahl gestrichen,

2:41

mit der Begründung, er habe an einer Verschwörung mitgewirkt,

2:44

insbesondere nämlich an dem Sturm

2:47

auf das Kapitol am 6.

2:49

Januar 2021. Diese Sichtweise des Supreme Courts

2:53

von Colorado hat der Scotus, der Supreme Court of the United

2:57

States, nun zurückgewiesen.

2:58

Genau, und zwar einstimmig. Das ist wichtig, noch dazu zu sagen.

3:02

Der hat halt gesagt, der Scotus hat gesagt, so eine Entscheidung steht

3:05

nur dem Kongress zu. Also die einzelnen Bundesstaaten

3:08

können nicht sagen, so, wir streichen jetzt einfach mal einen

3:11

Kandidaten vom Zettel. Und in der Begründung war auch

3:13

enthalten, dass so eine Entscheidung, läge sie denn bei den

3:16

Bundesstaaten, einfach zu einer Verwirrung führen kann, also zu

3:19

einem Chaos. Und das deswegen eben diese Entscheidung, ich wiederhole

3:22

es noch mal, nur dem Kongress zustehe.

3:25

Das heißt, Trump kann antreten

3:27

und er hat total

3:29

Rückenwind. Er hat total gute Karten, Ulf.

3:31

Ja, und zwar auch in der nationalen

3:33

Wahl. Nicht nur, dass er die Nominierung einsammelt, sondern dass

3:35

er eben auch im November bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl

3:39

den Sieg über Joe Biden davonträgt.

3:42

Wir haben es gesagt, die Nominierung als Kandidat der Republikaner hat er

3:45

schon fast im Sack. Aber auch bei den Wahlen im November sieht es

3:48

relativ gut aus. Die werden letztlich in den

3:51

sogenannten Swing States entschieden.

3:53

Es läuft ja bei den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten in fast

3:57

allen Staaten so, wer die Mehrheit

3:59

der Stimmen in diesem Bundesstaat erringt, der bekommt alle

4:03

Wahlmänner- und Wahlfrauenstimmen dieses Staates.

4:07

Die meisten Staaten sind politisch ganz klar einzuordnen.

4:09

Die sind also entweder demokratisch oder republikanisch.

4:11

Da ist ziemlich klar, wer diesen Staat gewinnt, wer diese Electors

4:15

dann letzten Endes nach Washington schicken darf. Aber es gibt eben so

4:17

ein paar Staaten, etwa sechs an der Zahl, wo die Wahl nicht klar

4:21

ist. Tja, und da muss man sagen, sieht es momentan für Donald Trump

4:24

ziemlich gut aus.

4:25

Und das wirft natürlich die Frage auf, warum sieht es denn auf der

4:28

anderen Seite so schlecht aus für Biden, wenn der, wir haben es

4:31

gesagt, ja eigentlich auch schon fast steht als

4:34

Präsidentschaftskandidat der Demokraten und Biden hat

4:37

verschiedene Probleme. Wir haben jetzt erst mal drei

4:40

identifiziert. Erstes Problem, er ist zu alt.

4:43

Er hat immer wieder Auftritte, auf denen er schleppend redet, bei denen

4:47

er sich nicht an Dinge erinnern kann, auch nicht an die Namen

4:51

von verschiedenen Staats- und Regierungschefs zum Beispiel.

4:54

Und selbst im eigenen Lager ist die Auffassung verbreitet,

4:58

dass er möglicherweise einfach nicht mehr fähig ist, Präsident zu sein.

5:02

Es gibt eine neue Umfrage, unter anderem von der New York Times.

5:05

Da sagen 61 % der Wähler:innen

5:07

die Joe Biden 2020 unterstützt haben, 81

5:11

ist zu alt, um an effective

5:14

President zu sein, also um ein

5:16

wirkmächtiger Präsident sein zu können.

5:18

Wie gesagt, das wirkt, dieses Problem wirkt nicht nur auf die

5:21

Wechselwählerinnen und Wechselwähler, sondern das wirkt

5:24

sogar auf die eigenen Leute, die also politisch inhaltlich mit Joe

5:27

Biden ziemlich auf einer Linie liegen. Das ist also ein

5:30

gravierendes Problem, an dem man natürlich auch nichts ändern kann. Sein Lebensalter ist eben sein

5:33

Lebensalter. Zweites Problem von Joe Biden, wieso

5:36

er momentan so schlecht dasteht. Seine Bilanz erscheint vielen

5:39

quasi nicht in Anführungsstrichen links genug.

5:41

2020 und bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat

5:44

er noch sehr davon profitiert, dass ihn die relativ linken, relativ

5:48

progressiven Fans von Bernie Sanders letztlich doch unterstützt haben.

5:52

Und er hat auch versucht zu liefern,

5:54

quasi aus dieser Perspektive. Also er hat die Staatsausgaben

5:57

relativ massiv erhöht, zum Beispiel mit dem sogenannten Inflation

6:00

reduction act. Das ist also ein großes

6:03

Subventionsprogramm für alle möglichen Bereiche der

6:05

amerikanischen Wirtschaft. Das wirkt auch sehr deutlich, muss

6:08

man sagen. Die Arbeitslosenzahlen in USA

6:11

sind niedrig, die Wirtschaft wächst und so, also das hat auch positive

6:13

Auswirkungen. Aber vor allem hat das natürlich die Menschen, die

6:17

jetzt eben grundsätzlich mal für einen starken Staat einstehen, der

6:20

viel Geld ausgibt, auch erfreut.

6:22

Aber ich glaube, man muss deutlich sagen, trotz dieser positiven Zahlen

6:25

sind die sozialen Probleme der USA einfach nicht gelöst.

6:29

Nicht zuletzt auch, weil konservative Demokraten vieles

6:32

ausgebremst haben. Besonders zu nennen ist da der

6:35

Senator Joe Manchin aus West Virginia, einem sehr konservativen

6:39

Bundesstaat. Und der gilt eben als Kohlelobbyist, wird unterstützt

6:43

von der fossilen Industrie. In seinem Bundesstaat gibt es eben

6:45

auch viele Kohleminen und

6:48

der hat viele insbesondere Klimaschutzprogramme von Joe Biden

6:51

ausgebremst. Ja, und das war's noch lange nicht.

6:53

Vielleicht das größte Problem von Joe Biden:

6:55

Das ist Bidens Kurs im Gazakrieg.

6:58

Das kostet den viel Zustimmung und Sympathien

7:02

und er versucht es da so ein bisschen allen recht zu machen.

7:04

Also er versucht auf der einen Seite Israel zu unterstützen und das auch

7:08

immer wieder deutlich zu machen, aber zugleich versucht er immer

7:11

wieder auch zur Mäßigung in Gaza aufzurufen.

7:13

Und dieser Schlingerkurs, der überzeugt viele aber trotzdem nicht.

7:16

Also auf der einen Seite gibt es die jüdischen Wähler:innen, die sagen

7:20

das ist uns nicht solidarisch genug mit Israel.

7:23

Und es gibt aber dann auf der anderen Seite muslimische

7:26

Wähler:innen und auch viele sehr linke Menschen, die

7:29

eigentlich Biden unterstützen würden, die sagen, da ist nicht

7:33

genug Solidarität aus unserer Sicht mit Gaza.

7:36

Und da gibt es dann in dem Zusammenhang einfach ganz viel

7:39

Kritik am sogenannten Genozid.

7:42

So wird es dann eben in diesen Kreisen genannt in Gaza.

7:44

Also seit Wochen wird Joe Biden

7:46

auf Veranstaltungen mit Rufen

7:48

wie "Genozidjoe" und "Waffenstillstand jetzt" empfangen.

7:53

Das heißt, da hat er auch nicht so einen leichten

7:56

Stand.

7:57

Das ist einfach eine extrem schwierige Position, weil natürlich auch

8:00

jüdische Menschen in den Vereinigten Staaten ein ganz wichtiges

8:02

Wählerpotenzial für die Demokraten sind. Das heißt also, es ist einfach

8:06

im Grunde eine Situation, er ist so zwischen zwischen Baum

8:10

und Borke oder

8:12

in Amerika sagt between a rock and a hard place.

8:14

Es ist einfach ganz schwer, da irgendwie Punkte zu machen.

8:17

Einen finde ich sehr eindrucksvolles Beispiel gibt es da aus den letzten

8:20

Tagen von den demokratischen Vorwahlen in Michigan.

8:23

Da gibt es nämlich einen sehr großen Anteil arabischstämmiger

8:27

Amerikaner:innen. Dienstag vergangener Woche, du hast

8:29

es gesagt, Ulf, waren da die Vorwahlen und da gab es richtig so

8:32

was wie eine uncommitted Kampagne.

8:35

Also ist es so, dass auf den Wahlzetteln für den

8:38

Präsidentschaftskandidat, der da in den Vorwahlen gewählt werden soll,

8:41

es auch einen Platz gibt

8:43

für "ich weiß nicht" oder "ich bin da unentschlossen", also

8:46

ein Kreuzchen für uncommitted gesetzt werden kann.

8:49

Und Biden hat in Michigan zwar mit 81 % gewonnen, aber

8:54

diese uncommitted Kampagne, die

8:56

hat auch total gezogen. 13 % haben eben

8:59

uncommitted angekreuzt, also unentschlossen.

9:01

Das sind über 100.000 demokratische

9:03

Wähler:innen, die dann gesagt haben, nein, ich find nicht,

9:07

dass ich Biden unterstützen kann, beziehungsweise ich bin da

9:09

unentschlossen und das ist schon ein großes Potenzial.

9:12

Und jetzt auch vom Super Tuesday hört man, dass das doch eine ganz

9:15

große Rolle auch gespielt hat.

9:16

Also ich finde die Zahlen schon krass, ne? Biden hat keinen

9:19

ernstzunehmenden Gegenkandidaten und bekommt trotzdem nur 81 %.

9:23

Ja, nur 4/5. Einer von fünf Menschen, die bei

9:27

den Demokraten registriert sind, hat entweder irgendwen anderes gewählt

9:30

oder eben 13 % dieses uncommitted. Also das zeigt schon dieses große

9:34

Grummeln so an der demokratischen Basis. Und wir haben drei

9:38

Probleme aufgezählt. Aber das Zentrale scheint wohl zu

9:40

sein tatsächlich, sein Schlingerkurs in Sachen Gaza.

9:43

Ja, und die Folge im Wahlsystem ist dann, dass die von Biden

9:46

Enttäuschten natürlich noch lange nicht Trump wählen. Die sind ja im Zweifel eher linker,

9:49

eher progressiver als der Kurs von Joe Biden.

9:52

Aber die Sorge ist nun, dass viele von ihnen einfach nicht

9:56

zur Wahl gehen könnten. Das ist dieses, was man in der

9:59

Politikwissenschaft so schön asymmetrische Demobilisierung nennt.

10:02

Das heißt also, Menschen werden demobilisiert nur auf einer Seite

10:06

des politischen Spektrums. Die Trumpwähler:innen sind in der

10:09

Tendenz ziemlich radikalisiert. Die gehen mit großer

10:12

Wahrscheinlichkeit auch hin, damit ihr großer Held Donald Trump, wieder

10:15

Präsident wird. Und auf demokratischer Seite ist

10:17

diese Begeisterung einfach überhaupt nicht da.

10:20

Und das alleine könnte schon reichen, damit Donald Trump diese

10:23

berühmten Swing States, diese sechs, sieben entscheidenden Bundesstaaten

10:27

gewinnt.

10:28

Also eigentlich so eine Einschläferungstaktik, oder?

10:30

Ja genau, man kann das so als kalte Füße Taktik oder

10:33

eingeschlafene Füße Taktik. Es geht so ein bisschen darum, die

10:36

nicht so ganz begeisterten Demokraten einfach zu Hause zu

10:39

lassen. Damit hat Donald Trump zum Beispiel auch nach einigen Analysen

10:42

jedenfalls die Präsidentschaftswahl 2016 gewonnen, insbesondere

10:46

mit Kampagnen, die Menschen

10:49

mit Migrationshintergrund davon

10:51

abgehalten haben sollen, so targeted ads auf Facebook, für

10:55

Hillary Clinton zu stimmen. Er hat also die Clintonwähler:innen,

10:59

die potenziell nicht gerade zu Trumpwählern gemacht, aber er hat

11:02

es halt geschafft, dass sie auch nicht Hillary gewählt haben und das kann

11:05

dann eben in Swing States schon reichen. Tja, was bedeutet

11:08

denn das jetzt?

11:09

Ja, wenn wir nach vorne

11:11

gucken, müssen wir, finde ich, trotzdem noch mal nach hinten gucken

11:14

und noch mal kurz Bilanz ziehen. Was war denn an Trumps

11:17

Präsidentschaft Nummer eins eigentlich so ein Riesenproblem?

11:21

Also das klingt jetzt wie so eine naive, wie so ein naiver Claim,

11:24

aber ich glaube, wir müssen es noch mal aufzählen: er hat den Iran

11:27

Nuklear Deal gekündigt, er hat mit Austritt aus der NATO

11:30

gedroht und es gab noch ein paar andere Punkte, die wir da noch

11:33

nennen sollten.

11:33

Es war ziemlich gruselig. Es gab auch innenpolitisch natürlich

11:36

Rabatz und Populismus an allen Ecken. Es gab den berühmten Muslim

11:39

Ban. Falls man sich noch erinnert. Also Menschen aus muslimischen

11:42

Staaten oder aus bestimmten Staaten durften einfach pauschal nicht mehr

11:46

einreisen in die USA, selbst wenn sie eigentlich ein dauerhaftes Visum

11:49

hatten, eine Niederlassungserlaubnis, was weiß ich. Das war alles völlig

11:52

egal mit einem Mal. Das musste dann von Gerichten mühsam

11:55

wieder zusammengestrichen werden, dieses Programm.

11:57

Außerdem hat er natürlich konsequent vier Jahre lang Politik gemacht

12:01

gegen Menschen aus Mittel- und Südamerika, die in die USA

12:04

immigrieren könnten, da gab es schreckliche Bilder von Kindern in

12:07

Käfigen und so. Also das war schon, das war schon aus einer menschenrechtlichen

12:10

Perspektive, waren das vier ganz,

12:12

ganz dunkle Jahre, aber auch aus der

12:14

Perspektive der internationalen Politik. So, das war Trump eins.

12:18

Und jetzt ist die Frage was wird bei Trump 2.0 passieren?

12:22

Ich glaube, da muss man sagen, er hat sein Potenzial, sein

12:25

destruktives, rassistisches Potenzial 2017

12:29

bis 21 noch bei weitem nicht ausgeschöpft.

12:32

Genau die Wahl, die kam ja auch

12:34

für ihn, so wird es zumindest

12:37

analysiert, total überraschend.

12:39

Also er war nicht so gut vorbereitet, wie er hätte sein

12:42

können. Und da gibt es in den

12:44

Analysen einen Begriff, der immer wieder mir über den Weg läuft.

12:48

Das sind die Adults in the Room, also die Erwachsenen im Raum, die

12:51

das Schlimmste verhindert haben sollen. Und das sieht auch Jana

12:54

Puglierin vom Thinktank European Council on Foreign Relations so.

12:58

Im Deutschlandfunk Kultur hat sie das so erklärt:

13:00

Damals gab es die sogenannten Erwachsenen im Raum.

13:04

Die wurden in der Analyse und in der Presse mal so genannt.

13:06

Das waren etablierte Republikaner,

13:09

die noch nicht so

13:11

sehr von dem eigentlichen Kurs der Republikaner abgewichen sind.

13:14

Und wo man gedacht hat, na ja, wenn diese Erwachsenen im Raum sind, dann

13:17

können die Trump einhegen. Und natürlich hatte man Checks and

13:20

Balances in den USA. Man hatte die Bürokratie, man hatte

13:23

die Justiz und die Demokratie

13:25

hat ja auch gehalten in den USA, sie war resilient.

13:28

Und da ist eben die große Sorge,

13:30

dass wird nicht noch mal passieren.

13:33

Die Resilienz der US Demokratie

13:35

dürfte beim nächsten Mal ziemlich auf die Probe gestellt werden, denn

13:39

die Republikaner und das Team Trump sind diesmal vorbereitet,

13:43

wie selten eine Regierung

13:45

vorbereitet war.

13:47

Und das ist ganz konkret so, dass die nicht nur eine neue

13:50

Politik planen. Ich meine, das ist ja was relativ

13:53

Normales. Wenn ein Lager, ein anderes Lager an die

13:56

Macht kommt, dann ist es logisch, dass jemand sagt, ich

13:59

habe hier andere Visionen, Das wäre ja noch was Demokratisches,

14:04

eine neue Mehrheit, neue Inhalte sozusagen.

14:06

Aber Trump plant was ganz anderes.

14:09

Er plant mit den Republikanern wirklich einen kompletten Umbau der

14:12

amerikanischen Demokratie. Und das muss man wirklich so sagen.

14:17

Constanze Stelzenmüller ist die Direktorin des Center on the United

14:20

States and Europe und

14:22

ist Transatlantikexpertin. Und sie sagt, die MAGAner,

14:27

also die Make America great again

14:29

Leute, die wollen die liberal repräsentative amerikanische

14:32

Verfassungsordnung komplett umbauen.

14:35

Und zwar so ein bisschen nach dem Vorbild von Viktor Orbáns

14:38

Ungarn.

14:39

Ja, also der Kerngedanke ist,

14:41

dass die heutige, auch

14:43

nicht perfekte, aber doch grundsätzlich demokratische Ordnung

14:46

in den Vereinigten Staaten umgebaut werden soll zu so einer illiberalen

14:50

Demokratie. Wo es also schon noch Wahlen gibt, aber deren Ergebnis im

14:53

Grunde von vornherein feststeht und wo es in Wirklichkeit keinen

14:57

politischen Pluralismus mehr gibt. Also wo es eine Einheit von Kirche

15:00

und Staat gibt, wo es einen weißen Ethnonationalismus gibt, der alle

15:03

anderen Ethnien möglichst weit von der Macht fernhält.

15:07

Und dementsprechend skeptisch

15:09

blickt auch Jana Puglierin

15:12

vom European Council on

15:14

Foreign Relations, auf das Programm

15:16

der Konservativen.

15:17

Was das Trumplager vorhat,

15:19

ist eben eine innenpolitische

15:21

Revolution, ein Umbau der Demokratie, die ihm ungeahnte

15:26

neue Macht gibt und ihn eben, er ist dann nicht mehr

15:29

eingehegt, sondern empowered, das zu tun, was er will.

15:32

Und das, was Jana Puglierin da als innenpolitische Revolution

15:35

bezeichnet, das hat auch einen Namen. Die Planung für

15:39

so eine mögliche zweite Präsidentschaft nennt sich Project

15:43

2025. Könnt ihr auch gern mal reinklicken.

15:46

Es gibt da eine große Website www.project2025.org.

15:51

Da haben sich 50 konservative Organisationen zusammengeschlossen

15:55

unter der Führung der sogenannten Heritage Foundation.

15:58

Das ist eine nationalistisch konservative Denkfabrik,

16:01

so das Flaggschiff des Lagers Make America Great

16:05

Again. Und das Ziel ist, wir haben es eigentlich schon

16:08

gesagt, diesmal sind wir

16:10

mehr vorbereitet als bei der ersten Präsidentschaft.

16:13

Was das genau bedeutet, kann man nachlesen im sogenannten Mandate

16:17

for Leadership. Das ist ein knapp 900 Seiten

16:20

starkes Playbook, also ein detailliertes Drehbuch für

16:24

die kommende Trumppräsidentschaft. So hoffen sie jedenfalls.

16:27

Dazu muss man sagen, so ein Mandate for Leadership ist an sich gar nicht

16:30

unbedingt etwas Neues. Das bringt die Heritage Foundation

16:32

seit den Achtzigern raus. Das Besondere an diesem Playbook

16:36

sind die Inhalte. Und da wollen wir jetzt mal so ein paar Stichworte aufzählen.

16:39

Zum Beispiel fordert das Playbook eine Rückkehr zum Isolationismus.

16:43

Die Vereinigten Staaten sollen aus der Weltgesundheitsorganisation, der

16:46

Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds austreten.

16:49

Das wäre also schon eine echte Schockwelle durch die internationale

16:53

Ordnung, so wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg mit den Vereinten Nationen

16:56

und ihren Unterorganisationen aufgebaut worden ist.

16:59

Ja, und dann ein anderes wichtiges Thema: Thema Klimawandel.

17:03

Wenn es da nach den MAGAnern geht, gibt es den sozusagen

17:06

nicht. Beziehungsweise die USA sehen sich da nicht in der Verpflichtung,

17:09

da irgendwas gegen zu tun. Also es ist im Playbook die Rede vom

17:13

Ende des Kriegs gegen fossile Brennstoffe.

17:16

Sagt glaube ich einiges.

17:17

Und auch die NATO ist aus Sicht der MAGAner eigentlich Geschichte.

17:21

Wobei man dazu sagen muss, austreten müssen die USA gar nicht offiziell.

17:24

Wenn Donald Trump einfach beschließt, den Artikel fünf,

17:27

also diese gegenseitige Beistandspflicht nicht wirklich

17:30

ernst zu nehmen, nicht wirklich umzusetzen, dann ist es eigentlich

17:33

aus mit der NATO. Das hatten wir ja schon in der Lage

17:36

ein paar mal, weil die anderen NATO

17:38

Staaten alleine so eine glaubwürdige Abschreckung einfach nicht leisten

17:41

können. Aber ich denke, neben diesen außenpolitischen Schockwellen ist

17:45

der wichtigste Punkt eigentlich, das haben wir eben anfangs schon

17:48

angedeutet, was die MAGA Leute,

17:50

was Project 2025 im innenpolitischen Raum vorhaben,

17:55

das muss man so deutlich sagen. Es ist geplant zum einen der Abbau,

17:58

zum anderen die totale Gleichschaltung der US

18:01

Bundesbehörden.

18:02

Und ich finde, da lohnt sich auch wirklich mal zu schauen, was sagen

18:05

denn da die, die diesen Umbau dann planen? Russ Vought, der ist

18:08

Vorsitzender des konservativen Centre for Renewing America,

18:13

und der hat gesagt, der erste Tag des Präsidenten wird eine

18:16

Abrissbirne für den Verwaltungsstaat

18:19

sein.

18:19

Das muss man erst mal sacken lassen. Verwaltungsstaat, der sogenannte

18:22

administrative State, das ist aus Sicht von konservativen und

18:26

radikalliberalen Amerikaner:innen

18:28

quasi das Böse an sich. Bundesbehörden, die gelten quasi als

18:32

des Teufels. Sie sind als solche zu bekämpfen. Davon sollte es so wenig

18:35

wie möglich geben für bestimmte Leute. Die dahinterstehende

18:38

Vorstellung ist, der Staat lässt die Leute am allerbesten in Ruhe.

18:41

Und der Staat ist eigentlich, sollte idealerweise nur für zwei Sachen

18:43

zuständig sein: für die Währung, selbst da sagen manche lieber Krypto

18:47

und vielleicht noch für äußere Sicherheit, also für's Militär.

18:50

Ansonsten sollte der Staat die Menschen im Wesentlichen in Ruhe

18:52

lassen, also eine ultraliberale Position.

18:55

Und das führt dazu, dass nach dem Programm, das da auf dem Tisch

18:57

liegt, zentrale Behörden des Bundes abgeschafft, völlig abgeschafft

19:01

werden sollen.

19:01

Also zum Beispiel, ich nenne mal ein paar, FBI, Homeland Security,

19:05

Bildungsministerium, Handelsministerium inklusive

19:08

Datenschutzbehörde der USA und andere sollen nicht abgeschafft

19:12

werden, aber viel kleiner werden. Also so einem totalen

19:15

Schrumpfungsprogramm unterliegen.

19:17

Das Justizministerium zum Beispiel.

19:19

Das ist ja in den USA zugleich die oberste Anklagebehörde und der

19:23

sogenannte Attorney General. Das soll alles abgewickelt werden

19:26

oder ganz massiv eingedampft werden.

19:28

Damit sollen dann entsprechend die Möglichkeiten dieser Behörden

19:32

begrenzt werden. Aus Sicht dieser Menschen, die das

19:34

fordern, quasi in das Leben der Menschen reinzuregieren.

19:38

Und vielleicht noch dramatischer für so rechtsstaatliche

19:41

Grundprinzipien wie Rule of Law

19:43

ist der Gedanke, dass die Behörden, die es dann immer noch weiter geben

19:46

soll, dass die eben auf Linie gebracht werden sollen, dass die

19:49

gleichgeschaltet werden sollen mit dem Weißen Haus.

19:52

Da gab es nämlich bisher aus der Sicht Trumps jedenfalls ein Problem.

19:56

Nicht alle Beamten, das sind ja Zehntausende in den US Behörden

19:59

waren MAGA Extremisten.

20:01

Und es gibt eben zehntausende Beamte in den Behörden des Bundes.

20:05

Also wir haben es schon genannt, vom FBI bis zum National Park Service.

20:09

Und da ist es wichtig zu sagen,

20:11

dass amerikanische Beamte eben

20:13

nicht auf den Präsidenten vereidigt werden, sondern auf die Verfassung

20:17

und die Verfassung schreibt fest,

20:19

der Kongress kontrolliert die Regierung und schreibt den

20:22

Bundesbehörden vor, wie sie zu agieren haben.

20:25

Genau und die Idee dahinter ist, der Kongress erlässt eben die Gesetze

20:29

und die Beamten halten sich zuallererst mal an die Gesetze.

20:31

Ja, der Präsident ist der Chef der Exekutive.

20:34

Aber er kann die Exekutive eben nur

20:36

im Rahmen der Gesetze tatsächlich

20:38

steuern. Das ist die bisherige, seit Jahrhunderten etablierte

20:42

Verfassungsordnung in den Vereinigten Staaten, und das heißt

20:45

auf Englisch so schön rule of law. Das heißt also, es bedeutet, das

20:47

Parlament macht die Gesetze und die

20:50

Exekutive führt sie aus. Der Präsident ist zwar der Chef

20:52

dieser Exekutive, aber er kann eben nicht regieren, wie er will, sondern

20:55

nur im Rahmen der vom Kongress bestimmten Gesetze.

20:58

Und diese Regeln, die könnten

21:00

eben Beamte davon abhalten, 100 %

21:02

auf Trumpkurs zu segeln, insbesondere wenn Donald Trump das

21:05

geltende Recht brechen will. Und das würde auf der anderen Seite

21:09

natürlich diese konservative Revolution potenziell bremsen.

21:12

Im Prinzip so ein bisschen so, wie das diese Adults in the Room, die

21:15

Erwachsenen im Raum ab 2017 gemacht haben. Und daher will das

21:18

Projekt 2025 jetzt dafür sorgen, dass alle führenden

21:22

Beamten auf Trumpkurs segeln und im Zweifel nicht mehr zählt, was im

21:26

Gesetz steht, sondern was Donald

21:28

Trump sagt. Und das ist jetzt nicht nur unsere Idee.

21:30

Das sagen die Menschen, die das für richtig halten auch selber

21:33

so.

21:34

Genau, es gibt einen Direktor dieses Projekt 2025, der

21:38

heißt Paul Dans, der

21:40

ist eben der Direktor des Presidential Transition Projects

21:43

und der sagt Project

21:46

2025 ist systematically preparing

21:48

to march into office and bring a new army.

21:52

Aligned, trained and essentially weaponized conservatives ready

21:55

to do battle against the deep

21:58

state.

21:58

Also auf Deutsch. Projekt 2025 ist dabei, ganz systematisch

22:03

einen Sturm in die Büros

22:05

des Bundes vorzubereiten. Und sie wollen mit sich bringen,

22:09

eine Armee von auf Linie gebrachten, trainierten

22:13

und im Grunde zu einer Waffe umfunktionierten

22:17

Konservativen, die bereit

22:19

sind, gegen den sogenannten Deep State zu kämpfen, also gegen das,

22:23

was Konservative für die böse Verwaltung in Washington

22:27

halten, für den Deep State, also wahrscheinlich müsste man sagen die

22:30

Verwaltung, die sich selbstständig gemacht hat und von niemandem mehr

22:33

richtig kontrolliert wird. Das ist die Idee.

22:35

Oder die eben aus Sicht Trumps blockiert und wie so eine Bedrohung

22:38

gesehen wird. Und ich finde, das muss man noch mal sacken lassen.

22:41

Da ist einfach so eine Kriegsrhetorik dabei.

22:44

Das ist jetzt so in dem, wie wir es übersetzt haben und

22:47

wie man es vielleicht erst mal versteht, auch wirklich eine

22:50

Kriegsrhetorik, die erst mal

22:52

diese verbale Aufrüstung nutzt.

22:55

Aber wenn man an den 6. Januar denkt, da waren halt auch

22:58

wirklich Waffen im Spiel und da

23:00

wird es mir schon ein bisschen anders.

23:02

Beim Sturm auf's Kapitol. Ja, genau. Das ist tatsächlich gruselig und ich

23:04

meine, das muss man sich überlegen. Was bedeutet das in der Praxis?

23:07

Die Grundidee dahinter ist, Politik ist Personal.

23:10

Also es geht um diese Army, diese Armee, die da gerade aufgebaut

23:13

werden soll. Dazu muss man fairerweise sagen, also es ist ganz

23:16

normal, dass bei dem Wechsel einer sogenannten Administration,

23:20

also bei einem neuen Präsidenten von einer anderen Partei, auch die

23:22

Beamten im öffentlichen Dienst ausgetauscht werden, aber

23:25

normalerweise eben nicht alle. Normalerweise tauscht man da

23:28

so circa 4000 politische Beamte an der Spitze aus, aber

23:32

hier ist der Plan, bis zu 50.000 Beamte zu ersetzen.

23:36

Und das bedeutet einfach schlicht und ergreifend, die werden gefeuert.

23:38

Da werden 50.000 Leute rausgeschmissen und 50.000

23:42

radikale Republikaner 150

23:44

prozentig auf Trump eingeschworene Leute werden an deren Stelle gesetzt

23:48

und da ist dann mit Rule of Law nicht mehr viel los.

23:51

Da wird dann nicht mehr das Gesetz gelesen, sondern da wird einfach nur

23:54

jeden Morgen schön auf Twitter geguckt, was Donald Trump für

23:56

richtig hält. Und das muss man sich mal überlegen. Das ist, das ist

23:59

tatsächlich aus der Perspektive der Gewaltenteilung eine echte

24:03

Katastrophe. Das ist wirklich ein Umbau einer Verfassungsordnung,

24:06

was sie da vorhaben.

24:07

Ich fand auch einen Ausdruck von Constanze Stelzenmüller, der

24:10

Transatlantikexpertin, ganz passend. Die schreibt in dem Zusammenhang von

24:14

willfährigen Loyalisten, die da bereitstehen, die

24:18

total überzeugt sind, die trainiert sind. Wir haben es gehört,

24:21

das wird mit Workshops gemacht, das wird mit Onlineangeboten gemacht,

24:25

die eben bereitstehen, um da wirklich sofort einzumarschieren.

24:28

Ja, Trumps Leute unterfüttern

24:30

dieses totale Durchregieren aus dem Weißen Haus auch noch durch eine

24:33

neue, quasi juristische Doktrin mit der sogenannten

24:37

unitary executive theory. Das bedeutet auf Deutsch, bisher war

24:41

eben allgemeine Meinung, dass Behörden die Kompetenz und auch die

24:43

Pflicht haben, das Recht anzuwenden. Rule of law.

24:46

Das heißt, der Präsident konnte auch nicht direkt durchregieren durch

24:49

Einzelanweisung. Er konnte also jetzt in einer Behörde nicht einfach

24:53

sagen, hier, ihr macht das jetzt so und so. Wenn der Präsident der

24:55

Meinung war, dass eine Behörde irgendwas falsch macht, dann konnte

24:58

er im Prinzip nur den Chef austauschen. Dann musste der neue

25:00

Chef aber auch vom Kongress bestätigt werden und so, da gab es

25:03

also immer noch sogenannte Checks and Balances, also quasi Kontrolle

25:06

der Macht. Nach dieser neuen Theorie, dieser unitary

25:09

executive theory hätte der Präsident nahezu uneingeschränkte Macht über

25:12

die ganze Regierung. Er könnte überall hineinregieren,

25:15

durchregieren. Das Weiße Haus könnte dann im Alleingang handeln und diese

25:18

ganzen früher an das Gesetz gebundenen Beamten, die wären

25:22

im Grunde alle nur noch Marionetten in einem großen Spiel von

25:26

Donald Trump. Tja, und ihr habt es

25:29

gehört dieses Playbook ist eben wegen der guten Chancen von Donald

25:32

Trump kein bloßer Fiebertraum von radikalen Rechten in den

25:35

Vereinigten Staaten, sondern es ist ein ganz realistisches Szenario.

25:38

Wir müssen uns alle darauf einstellen, dass es genau so

25:41

kommen könnte. Denn das wird geplant, das wird vorbereitet,

25:45

das ist aufgeschrieben. Da stehen die auch zu, da haben die

25:47

auch überhaupt keine Scham oder so.

25:49

Große Frage, lässt sich das jetzt überhaupt noch irgendwie

25:53

verhindern und wenn ja, wie?

25:55

Ich wiege hier gerade so ein bisschen den Kopf, also die

25:57

Hoffnung, dass Trump vom Wahlzettel

26:00

gestrichen wird, die hat sich ja zumindest schon mal nicht erfüllt.

26:03

Das war ja auch nicht als wahrscheinlich angesehen worden.

26:06

Also es war ja eben, haben wir ja zu Beginn schon

26:09

gesagt, die Frage, ob er zum Beispiel in Colorado vom Wahlzettel

26:13

gestrichen wird und das dann auch vom Supreme Court auf Bundesebene

26:17

bestätigt wird, war nicht der Fall. Also die Hoffnung hat sich

26:20

nicht erfüllt. Jetzt ist es aber trotzdem so, um

26:23

ein bisschen Optimistisches zu nennen, also du merkst schon Ulf,

26:26

das fällt mir ein bisschen schwer, aber es ist ja schon so, dass

26:28

amerikanische Wahlkämpfe in der Vergangenheit auch immer mal eine

26:31

unerwartete Dynamik doch noch bekommen haben.

26:34

Also ich erinnere da an den Sieg von Barack Obama, den lange

26:38

viele nicht für möglich gehalten haben, wo dann doch sich noch mal

26:42

was gedreht hat. Who knows?

26:44

Vielleicht passiert noch was, was wir jetzt gar nicht auf dem Schirm

26:47

haben. Und Trump wird doch nicht Präsident.

26:50

Tja, also man möchte

26:52

sich so ein bisschen an diese Hoffnung klammern, aber mir scheint doch,

26:55

dass die jetzt auch nur so ganz beschränkt realistisch ist,

26:59

wenn ich ganz ehrlich bin. Ein Fünkchen Hoffnung

27:02

ergibt sich vielleicht noch aus den möglichen finanziellen Problemen

27:06

von Donald Trump. Er hat ja eine ganze Reihe von

27:08

Verfahren am Hacken. Das hatten wir in der Lage auch

27:10

schon, also allein vier Strafverfahren mit über 90

27:13

einzelnen Anklagepunkten. Aber dann gibt es auch noch

27:16

Zivilverfahren, wo also Leute von ihm Schadenersatz fordern,

27:19

Geldstrafen und Entschädigungszahlungen, die

27:21

Gerichte gegen ihn schon verhängt haben, belaufen sich inzwischen auf

27:23

über eine halbe Milliarde Dollar.

27:25

Muss man sich mal überlegen. 537,3 Millionen Dollar

27:29

genau genommen, sind bislang

27:31

schon gegen ihn tituliert.

27:33

Da kann man sich schon fragen, wie er das Geld eigentlich auftreiben

27:36

will. Also er sonnt sich ja immer in diesem Bild, er sei ein sehr reicher

27:39

Mann. Ganz genau weiß das niemand. Aber wenn ihr euch erinnert, er hat

27:42

sich auch immer konsequent geweigert, seine Steuererklärung

27:45

offenzulegen, seine Steuerbescheide.

27:47

Insofern vielleicht ist er auch eigentlich gar nicht so wahnsinnig

27:50

reich. Das werden wir jetzt mal sehen. Jedenfalls muss er bis zum

27:53

25. März diese 537,x Millionen Dollar

27:57

aufbringen oder dafür jedenfalls eine Sicherheit hinterlegen, sonst

28:00

könnte der Bundesstaat New York gegen ihn pfänden.

28:03

Was bedeutet denn das jetzt letzten Endes?

28:05

Na ja, das ist auch nicht ganz in letzter Konsequenz

28:09

klar. Aber der CNN Autor Stephen Collinson zum Beispiel, der

28:13

hat das analysiert und der meinte, ja, das wäre dann einfach eine

28:16

persönliche Belastung für Trump. Und wenn sich herausstellt, dass der

28:19

Expräsident weniger wohlhabend ist, als er behauptet, dann könnte das

28:22

schon auch diesen Mythos dieses

28:25

Reichenmoguls gefährden, auf dem er dann schon auch komplett

28:29

eigentlich seine politische Marke aufbaut.

28:31

Also so ein bisschen dieses Selbstverständnis Trumps könnte

28:35

angekratzt werden, obwohl ich da danebenlegen würde, er hat

28:38

mit so vielen Anklagen zu kämpfen

28:41

und das schadet seinem Image,

28:43

so wie wir es sehen, sehr, sehr, sehr wenig.

28:46

Das heißt auch da so ein Kopfwiegen.

28:49

Ja, es gelingt ihm einfach bisher, die ganzen Angriffe von

28:52

ganz unterschiedlichen Behörden und Privatleuten immer als politisch

28:56

motiviert zu diskreditieren. Also normalerweise würde man ja

28:59

sagen, wenn jemand vier Strafverfahren über 90 Anklagepunkte

29:01

am Hacken hat, ist er politisch tot. In Deutschland geht das ja schon,

29:05

wenn nur bei einem Politiker durchsucht wird, war es das ja

29:07

schon, je nach Vorwurf so ein bisschen. Also da sind wir in Deutschland

29:10

eigentlich noch deutlich sensibler.

29:12

In den Vereinigten Staaten hingegen schafft er es, diese Verfahren von

29:16

unabhängigen Justizbehörden komplett zu diskreditieren als

29:19

Attacken vom Deep State, da haben wir ihn wieder, oder eben als

29:22

Attacken von irgendwelchen radikalen Demokraten. Oder er sagt dann auch

29:25

gerne mal von Kommunisten und deswegen sind diese Verfahren

29:30

für ihn bislang jedenfalls

29:32

nicht schädlich. Man könnte sogar sagen, dass sie seine Basis

29:34

vielleicht sogar noch eher radikalisieren, um sich so

29:36

wagenburgartig um ihren großen Helden zu scharen.

29:40

Ich glaube deswegen auch, wir müssen uns einfach mit diesem Szenario

29:43

anfreunden, dass er die Wahlen gewinnt im November.

29:45

Klar, der Wahlkampf, der eigentliche Wahlkampf steht uns noch bevor.

29:48

Da kann eine Menge passieren. Jana, du hast es, glaube ich, völlig

29:50

zu Recht gesagt. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten.

29:53

Und die Frage ist, sind wir es? Ist Deutschland, ist Europa, ist

29:57

die NATO überhaupt auf eine neue

29:59

Trump Präsidentschaft vorbereitet?

30:01

Es gibt nicht so wenige Experten,

30:03

die sagen Europa ist überhaupt nicht gut vorbereitet.

30:06

Und dann kommt noch dazu, dass

30:08

einige auch in der deutschen Politik nicht wahrhaben wollen, dass das,

30:12

was wir da gerade verhandelt haben, ein realistisches Szenario ist.

30:16

Das heißt, aus meiner Sicht ist es schon dringend notwendig,

30:20

dass Europa ein Fahrplan entwirft

30:23

und sich auch abstimmt für den Fall, dass Trump Präsident wird.

30:26

Also zum Beispiel wird da ja immer mal das Weimarer Dreieck genannt,

30:30

also dieses Dreieck aus Frankreich,

30:32

Polen, Deutschland in der politischen Zusammenarbeit, was

30:36

wiederbelebt werden sollte und was aber viel ernster genommen

30:40

werden sollte. Und in dem Zusammenhang ist ja auch

30:44

ein Hoffnungsschimmer, sage ich mal, dass es in Polen eine neue Regierung

30:47

gibt, die da auch mitziehen

30:50

würde. Jetzt ist aber das

30:53

Weimarer Dreieck, weil Deutschland und Frankreich da drin hängen,

30:55

vielleicht doch nicht ganz so stark, wie es sein könnte.

30:58

Ja, das muss man sehen. Also Olaf Scholz und Emmanuel Macron

31:01

scheinen ja jedenfalls mal dieses bilaterale Verhältnis,

31:04

die bilaterale Zusammenarbeit total zu vergeigen.

31:07

Sie sind eigentlich die Führungskräfte in der Europäischen

31:10

Union, aber sie reden momentan einfach eher übereinander als

31:13

miteinander. Die Bodentruppenäußerung von Macron

31:17

und die mega aggressive Reaktion

31:19

von Scholz darauf war ja letzte Woche schon ausführlich Thema.

31:22

Also das klingt jetzt erst mal nicht nach einem guten Klima zwischen

31:25

Berlin und Paris und das klingt für mich deswegen auch nicht so, als

31:28

wenn das Weimarer Dreieck jetzt so unmittelbar arbeitsfähig wäre.

31:31

Aber auf der anderen Seite, ich denke, auch Donald Tusk ist ein ganz

31:35

engagierter Europäer. Möglicherweise gelingt es ihm ja,

31:37

Macron und Scholz einfach mal an einen Tisch zu holen und zu sagen,

31:40

so Jungs, die Zeiten sind schwer und die Zeiten sind hart.

31:43

Wenn Donald Trump kommt, brauchen wir einen Plan.

31:45

Das wäre so meine große Hoffnung, dass Donald Tusk, klar, der hat

31:48

innenpolitisch auch gerade echt ne Menge Baustellen. Aber dass der sich

31:51

jetzt hinstellen könnte hoffentlich und sagt Jungs, jetzt hört

31:54

mal auf hier mit euren Sandkastenspielen, wir brauchen jetzt einfach

31:57

Leadership.

31:58

Wir kommen zu unserem nächsten Thema. Und zwar

32:01

geht es um eine Aufnahme, die seit Freitag im Netz kursiert.

32:06

Die Chefredakteurin des russischen Propagandamediums Russia Today,

32:09

die hat ja am Freitag einen 38 minütigen Audiomitschnitt

32:13

veröffentlicht und seitdem

32:15

steht in Deutschland die innenpolitische Diskussion Kopf,

32:18

aber auch die außenpolitische, würde ich sagen.

32:21

Nach russischen Angaben geht es um eine Telefonkonferenz vom

32:24

19. Februar, und darin sind

32:27

Gespräche zu hören von ranghohen

32:29

Offizieren der Luftwaffe. Unter anderem ist der Chef der

32:32

Luftwaffe da zugeschaltet, Inspektor Ingo Gerhartz.

32:36

Ja, In diesem Gespräch geht es inhaltlich unter anderem um die

32:39

Frage, ob Taurus Marschflugkörper

32:41

technisch/theoretisch in der Lage wären, die von Russland

32:46

gebaute Brücke zwischen Russland

32:48

und der russisch besetzten ukrainischen Halbinsel Krim

32:51

zu zerstören. Außerdem auch um die Frage, ob

32:55

die Ukraine den Einsatz von Taurus

32:57

und damit den Beschuss zum Beispiel dieser Kertsch Brücke ohne

33:00

Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr

33:03

bewerkstelligen könnte. Und ich glaube, das letzte ist

33:06

inhaltlich vielleicht der spannendste Punkt an diesem

33:09

abgehörten Gespräch.

33:11

Weil dieses Gespräch, das

33:13

eben eigentlich geheim bleiben

33:15

sollte, zumindest natürlich nicht irgendwie für alle zugänglich online

33:18

landen sollte, nahelegt, dass es schon auch

33:22

ohne Soldaten ginge, also ohne deutsche Soldaten, das muss ich

33:25

noch spezifizieren, ginge, die Taurus Marschflugkörper in der

33:29

Ukraine einzusetzen, weil nämlich, und das ist in dem Gespräch

33:32

auch Thema, Briten vor Ort sind. Da sagt einer so, ich paraphrasiere

33:36

jetzt, na ja, die sind ja vor Ort, die könnten das ja dann vielleicht

33:38

wuppen und die könnten vielleicht den Taurus programmieren.

33:41

So wird es wörtlich nicht gesagt, aber so wird es interpretiert.

33:44

Außerdem gibt es noch einen zweiten Punkt, und der ist innenpolitisch

33:47

vielleicht noch dramatischer. Offenbar sind ja britische

33:50

Soldaten, die längst in der Ukraine im Einsatz sind, auch aus russischer

33:54

Sicht gar kein Problem, oder jedenfalls haben sie bislang nicht

33:57

zu irgendwelchen russischen Gegenschlägen Anlass gegeben.

34:00

Warum sollen dann eigentlich deutsche Soldaten in der Ukraine

34:03

plötzlich eine rote Linie darstellen?

34:06

Und genau das, deutsche Soldaten in der Ukraine sollte ja

34:10

aus der Perspektive des Bundeskanzlers das zentrale

34:13

Argument sein, warum Taurus nicht geliefert werden kann, weil

34:16

angeblich diese Taurussysteme

34:18

nur von Deutschen in der Ukraine

34:20

programmiert werden können.

34:21

Und das ist eben auch der Grund, warum Olaf Scholz, der

34:23

Bundeskanzler, jetzt ziemlich unter Druck steht, weil er eben seine

34:26

Absage begründet hat mit, wir brauchen deutsche Soldaten auf

34:29

ukrainischem Boden für die Taurus Marschflugkörper.

34:32

Und das geht nicht aus seiner Sicht. Und das wirkt eben jetzt auch nach

34:35

der Veröffentlichung dieses Gesprächs immer unplausibler.

34:38

Deswegen muss er sich da ziemlich viele Fragen gefallen lassen.

34:40

Das sind quasi die Inhalte dieses Gesprächs. Aber es stellt sich

34:43

natürlich auch die Frage, wie konnte das denn überhaupt passieren?

34:47

Wie kann es denn sein, dass eine russische Journalistin einen 38

34:50

minütigen Mitschnitt hat

34:53

eines hochgeheimen Gesprächs

34:55

zwischen Führungskräften der

34:57

deutschen Streitkräfte. Die Tageszeitung Rheinpfalz aus

35:00

Koblenz formuliert, der deutsche

35:02

Sicherheitsapparat habe offenbar mehr offene Türen als ein

35:06

Adventskalender am Heiligabend.

35:09

Kann man das wirklich so sagen oder ist das ein bisschen überspitzt?

35:13

Also ist es so, gucken wir uns erst mal die technischen Fakten an,

35:16

dass das Gespräch über die Plattform Webex gelaufen ist.

35:20

Das ist eine Online Kommunikationsplattform,

35:22

also so was wie Zoom oder Teams oder so, und da haben

35:26

dann im Anschluss verschiedene Theorien eine Rolle gespielt

35:29

und kursiert. Also so die Frage, ob die Plattform, ob Webex eben

35:32

nicht sicher genug ist für die Inhalte, die da besprochen wurden.

35:36

Inzwischen ist aber klar, die Plattform an sich war

35:40

nicht das Problem.

35:41

Nein, sondern diese Plattform war

35:43

aus dem Ausland offenbar nicht erreichbar. Denn einer der

35:46

Offiziere, die an dem Gespräch beteiligt waren, wollte sich von

35:49

Singapur aus einwählen. Das hat dann nicht funktioniert.

35:52

Und dann hat er einen zentralen

35:55

Fehler gemacht. Dann hat er eben sich nicht über den Webbrowser bei

35:58

Webex eingewählt, über den Laptop, sondern per ganz normaler

36:02

Handyverbindung. Und diese ganz normale

36:04

Handyverbindung, diese Telefonleitung, konnten die Russen

36:07

offenbar abhören.

36:09

Ja, und ich fand's witzig, Ulf, wir haben im Vorhinein schon mal kurz

36:12

drüber gesprochen und

36:14

schon gesagt, na ja, das ist halt sicherheitstechnisch natürlich ein

36:18

Supergau und du hast dann aber so ein bisschen

36:21

lapidar abgewunken, meintest ja, dich hat einfach diese Abhöraktion

36:24

überhaupt gar nicht überrascht.

36:26

Nee, muss ich ganz ehrlich sagen. Denn, dass normale Handys und

36:29

Telefone abgehört werden können, das ist seit vielen, vielen Jahren klar.

36:32

Wir erinnern uns vor einigen Jahren gab es sogar mal einen Abhörskandal, wo

36:35

die Vereinigten Staaten von ihrer Botschaft in Berlin aus, die ja

36:38

direkt neben dem Brandenburger Tor liegt, offenbar ständig

36:41

Telefongespräche im Berliner Regierungsviertel mitgeschnitten

36:44

haben. Also die USA machen das weltweit, ständig und überall.

36:48

Aber Russland kann das eben auch.

36:51

Telefongespräche mitschneiden. Das ist inzwischen, muss man sagen,

36:53

das kleine Einmaleins der so genannten Signal Intelligence,

36:57

also der IT Aufklärung.

37:00

Und zugleich muss man sagen, kann Russland natürlich noch viel mehr.

37:03

Also es wäre grundsätzlich auch gar nicht unvorstellbar gewesen, dass

37:07

Russland tatsächlich zum Beispiel einen der beteiligten Laptops der

37:10

Offiziere mit einem Virus infiziert

37:12

hätte. Das machen die Russen auch dauernd. Dazu gibt es gerade eine

37:15

großartige Dokumentation in der ARD unter dem Titel Putins

37:19

Bären steht die in der ARD Mediathek, haben wir für euch in den

37:22

Shownotes verlinkt und das Ganze, dieses Hacking und das ist

37:26

eben Teil der sogenannten hybriden Kriegsführung.

37:29

Also Krieg wird heute im 21.

37:31

Jahrhundert nicht nur mit Panzern, Granaten und Maschinengewehren

37:33

geführt, sondern auch mit Computern,

37:35

mit Hackern. Also das Reinhacken in IT Systeme ist inzwischen

37:39

ein ganz normales Mittel der Kriegsführung und insofern muss ich

37:43

immer so ein bisschen schmunzeln, wenn der Bundeskanzler sagt,

37:45

Deutschland darf nicht in einen Krieg mit Russland hineingezogen

37:47

werden. Russland führt seit Jahren einen ziemlich aggressiven IT Krieg

37:51

gegen Deutschland. Russische Hacker haben sich in den

37:54

Bundestag gehackt und dabei mindestens 16 Gigabyte Daten

37:57

ausgefiltert. Das waren auch gegen Ende der Merkelzeit.

38:00

Also ganz ehrlich, wir sind längst in einem hybriden Konflikt.

38:03

Nur bislang wird eben nicht konventionell geschossen.

38:06

Ich glaube, das ist die Lage und insofern ist der Bundeskanzler da

38:09

einfach nicht ganz auf der Höhe der Zeit, wenn er sagt, Deutschland darf

38:12

nicht in einen Krieg reingezogen werden. Wie gesagt, aus meiner Sicht

38:15

ist dieser Krieg jedenfalls in der IT Welt, leider längst traurige

38:19

Realität.

38:19

Jetzt müssen wir aber noch mal für den konkreten Fall, glaube ich,

38:22

festhalten, wir haben ja festgestellt, das war jetzt nicht

38:25

die Sicherheitsplattform oder die IT Plattform, die da das Problem war,

38:28

sondern in dem konkreten Fall einfach, dass sich jemand per

38:31

Telefonleitung eingewählt hat. Das heißt, in dem Fall wär's

38:35

dann eher so ein individueller

38:37

Fehler, individuelles IT Versagen, wenn man so will.

38:40

Also so nach dem Motto, die Person hinter dem Laptop ist das Problem.

38:43

Ja, wie so häufig, wenn irgendwas mit der IT

38:46

schiefgeht, sitzt das Problem vor dem Gerät und so auch hier

38:49

würde ich denken, eigentlich fehlt es hier vor allem an der IT

38:52

Kompetenz oder auch an der Schulung der beteiligten Offiziere.

38:55

Natürlich dürfen geheime Infos nicht am Telefon besprochen werden

38:59

und Telefon ist natürlich auch ein Call über Webex, wenn einer in einer

39:03

Runde per Telefon sich in diese Runde einwählt.

39:06

Also das ist eigentlich ziemlich banal. Man würde eigentlich

39:09

erwarten, dass das Teil der IT

39:11

Sensibilisierung ist in der Bundeswehr.

39:13

Ob es da an der Schulung gefehlt hat, ob da individuelles Versagen im

39:16

Einzelfall vorliegt, ist jetzt schwer zu sagen.

39:19

Aber auf jeden Fall muss man sagen da muss nachgesteuert

39:22

werden. Denn, ich denke, dieser Fehler wäre ja sehr leicht zu

39:25

vermeiden gewesen.

39:26

Stichwort andere Plattformen,

39:28

die sicher sind. Signal zum Beispiel nutzt du ja auch

39:31

viel, Ulf, ich auch.

39:33

Benutzen wir ständig. Bei der Lage nutzen wir, auch bei

39:35

der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Signal ist halt die Messenger

39:39

App, die zurzeit so als der Goldstandard in Sachen IT Sicherheit

39:43

gilt. Und zwar einfach deswegen, weil der Quelltext Open Source ist.

39:46

Das heißt also da gibt es einfach sehr viele Nerds, sich diesen

39:48

Quelltext anschauen und etwaige Fehler, so kann man jedenfalls

39:51

hoffen, gefunden hätten. Auch das hilft natürlich nicht

39:54

hundertprozentig. Wenn ein Handy gehackt ist, mit einem Trojaner zum Beispiel,

39:56

Stichwort Bundestrojaner, Staatstrojaner, dann ist natürlich

40:00

auch Signal nicht mehr sicher, aber ansonsten eben schon.

40:03

Und insofern wundert man sich so ein bisschen, wieso nicht in der

40:06

Bundeswehr schlicht und ergreifend gesagt wird, greift zum Handy,

40:09

telefoniert über Signal, dann ist das Problem gelöst.

40:12

Dann muss man sich auch nicht mehr mit dieser blöden Plattform Webex

40:15

auseinandersetzen. Und zur Not, wenn man denn der Signalfirma nicht

40:18

trauen will oder dieser Organisation die Signal veröffentlicht, dann kann

40:21

man sich notfalls als Bundeswehr auch den Quelltext runterladen

40:24

und quasi eine eigene Bundeswehr

40:26

Signal App kompilieren. Das dauert also für einen halbwegs

40:29

fähigen ITler keinen Tag, das System aufzubauen. Also wundert man sich so

40:32

ein bisschen, wieso das passieren konnte.

40:35

Schauen wir noch mal kurz auf die Reaktionen, die das

40:38

ausgelöst hat. Politisch, Bundesverteidigungsminister

40:40

Boris Pistorius spricht von einem Informationskrieg.

40:44

Den Punkt hatten wir ja gerade schon, Ulf. Die Union, die fordert

40:47

eine baldige Sondersitzung. Es gibt auch Stimmen, die einen

40:49

Untersuchungsausschuss wollen.

40:51

Es ist jetzt erst mal so, dass es am Montag weitergeht.

40:54

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von

40:57

der FDP, die plant eine Ausschusssitzung kommenden Montag.

41:00

Da soll auch Bundesverteidigungsminister Boris

41:02

Pistorius von der SPD dann zugegen sein. Und die beteiligten Offiziere

41:05

sollen auch befragt werden.

41:08

Tja, wie ist das jetzt alles zu bewerten? Ich finde, natürlich ist

41:11

das super peinlich, dass eine russische Journalistin mit engsten

41:14

Kontakten zum Kreml 38 Minuten geheime

41:18

Bundeswehrberatung ins Netz stellen kann. Auf der anderen Seite, finde

41:21

ich, ist es aber auch nicht überraschend. Wie gesagt, es ist

41:24

nicht der ganz große Hack, sondern es handelt sich um einen Fall von

41:27

menschlichem Versagen. Menschen machen Fehler, machen wir

41:30

alle. Machen wir auch. In fast jeder Lage müssen wir

41:32

irgendwelche Fehler korrigieren. Also das ist zutiefst menschlich.

41:35

Sicherheitshalber sollte aber natürlich das Ministerium die Regeln

41:38

überprüfen, schauen, ob man nicht so was wie einen sicheren

41:41

Bundeswehrmessenger verwenden könnte statt einer so etwas anstrengender

41:44

Webplattform. Und natürlich müssen Offiziere,

41:47

mindestens Generäle besser ausgebildet werden, damit solche

41:50

Fehler möglichst nicht passieren.

41:51

Jetzt hat Boris Pistorius auch angekündigt, dass er da erst mal

41:54

keine personellen Konsequenzen daraus ziehen möchte, weil es eben

41:57

auch aus seiner Sicht ein individueller Fehler war, der

41:59

verzeihlich ist. Finde ich jetzt auch erst mal in

42:02

Anbetracht dieses Informationskrieges, dieses

42:04

Stichwortes, das da sicherlich auch von Putin Kalkül dahinter steht,

42:09

zumindest verständlich.

42:11

Ja, finde ich auch so, also ich denke, da sollte man irgendwo mal

42:13

die Kirche im Dorf lassen, denn die Aufregung spielt nur Putin in die

42:16

Karten. Da hat Boris Pistorius völlig zu Recht darauf hingewiesen,

42:19

wenn man jetzt irgendeinen der besten Generäle feuern würde, weil

42:22

er eben in einem Einzelfall versagt

42:24

hat, was die IT Sicherheit angeht, dann würde man letztlich nur Putin

42:27

einen Gefallen tun. Das wäre also genau die falsche Reaktion.

42:30

Aber klar, der Fall macht schon deutlich, dass die Bundeswehr Stand

42:33

heute doch nicht so ganz auf der Höhe der Zeit ist.

42:35

Das gilt für konventionelle Waffen. Wir haben einfach nicht genügend

42:38

Panzergranaten und was man so alles braucht. Aber es geht eben auch

42:42

für die IT Kompetenz.

42:44

Und wenn wir jetzt mal so ein bisschen rein rauszoomen aus dem Einzelfall,

42:47

Jana, was denkst du, wie schwer beschädigt ist denn durch diesen

42:50

ganzen Zirkus rund um den Abhörskandal und aber auch die

42:53

Tauruslieferung oder -nichtlieferung, wie schwer

42:55

beschädigt ist der Bundeskanzler?

42:57

Also ich habe den Eindruck, dass das natürlich jetzt laut diskutiert

43:01

wird, das aber unterm Strich jetzt nicht so viel übrig

43:04

bleibt, was die Abhörgeschichte angeht. Also klar befeuert das jetzt

43:07

noch mal diese Diskussion, sagt Scholz oder argumentiert er in der

43:11

Öffentlichkeit mit validen Argumenten, warum er keine Taurus

43:14

liefern will? Da finde ich, muss er vielleicht

43:17

tatsächlich noch mal nachsteuern. Aber das ist ja auch eine

43:20

Diskussion, die jetzt nicht erst seit gestern läuft.

43:22

Die wird dadurch halt, finde ich, noch mal intensiver geführt

43:25

und lässt sich jetzt nicht mehr so leicht verstecken.

43:28

Aber ich würde nicht sagen, dass ihm das jetzt nachhaltig schadet.

43:32

Außer, dass halt das Image des zögernden Kanzlers noch

43:35

mal mehr befeuert wird. Wie siehst du das?

43:37

Ja, also ich finde, man muss schon sagen, es wird halt immer deutlicher,

43:40

dass Olaf Scholz nicht die Wahrheit sagt im Bereich Tauruslieferung.

43:43

Seine Argumente werden serienweise

43:46

als nicht tragfähig entlarvt und das finde ich schon peinlich, dass er

43:49

der deutschen Öffentlichkeit hier einfach nicht die Wahrheit sagt.

43:52

Aus meiner Sicht illustriert das mal wieder, dass der Bundeskanzler

43:55

eigentlich eine ganz andere Agenda hat bei den Waffenlieferungen.

43:58

Meine persönliche These kann ich nicht beweisen, finde ich aber immer

44:01

plausibler, wenn ich darauf schaue, ist einfach, der Bundeskanzler will

44:04

den Konflikt in einem Schwebezustand halten. Natürlich soll Russland

44:07

nicht gewinnen. Natürlich soll die Ukraine den Krieg nicht verlieren.

44:10

Aber, und das ist das eigentliche Problem, die Ukraine soll auch nicht

44:13

gewinnen. Und das finde ich das eigentliche Problem, dass

44:17

dieses ständige Verzögern bei den Waffenlieferungen mit Argumenten,

44:20

die sich ständig als letztlich unwahr herausstellen, dass das

44:23

aus meiner Sicht nur noch den Schluss zulässt, dass es einfach

44:26

darum geht, den Krieg am Köcheln zu halten. Das mag ja sogar

44:30

quasi legitime Gründe dafür geben.

44:32

Also vermutlich ist es so, dass Scholz einfach denkt, den Interessen

44:35

Deutschlands ist am besten gedient, wenn Russland sich dort verkämpft,

44:38

wenn es da einen Stellungskrieg gibt und keine Seite gewinnt.

44:41

Möglicherweise trifft es zu, ja, dieses Reasoning, aber dann sollte

44:44

er das den Deutschen auch ehrlich sagen. Dann muss er den Deutschen

44:46

ehrlich sagen, wir wollen nicht, dass Russland dort den Krieg

44:50

verliert, weil wir nicht wissen, inwieweit das Russland

44:52

destabilisiert. Also man könnte sich ja zum Beispiel vorstellen, wenn

44:54

Russland verliert. Das hat Professor Behrends in der

44:56

letzten Lage auch gesagt, was bedeutet das für Putins

44:59

innenpolitische Situation? Gibt es da einen Putsch in Moskau?

45:02

Wer hat dann den Knopf auf den russischen Atomwaffen?

45:05

Das ist ja eine, wie soll ich sagen, eine legitime Sicherheitsüberlegung.

45:08

Nur dann muss man es den Menschen in Deutschland ehrlich sagen.

45:10

Aber wahrscheinlich wäre das wiederum auch schwer kommunizierbar,

45:13

weil es natürlich letzten Endes mit ukrainischen Leben spielt.

45:17

Vermutlich ist das eben etwas, was man dann doch wiederum nicht so

45:19

offen sagen kann. Insofern ja, ist der Bundeskanzler

45:23

insofern jedenfalls beschädigt aus meiner Sicht, als er einfach als

45:26

jemand dasteht, der nicht mit offenen Karten spielt.

45:29

Und ich glaub, was auch noch ein wichtiger Aspekt ist, ist

45:32

so dieser außenpolitische. Also es war in

45:35

diesem Mitschnitt ja auch davon die Rede, wir haben es gesagt, dass ja

45:38

die Briten dann den Taurus da schon irgendwie wuppen könnten.

45:41

Und diese militärischen Details, die waren jetzt nicht komplett versteckt

45:45

vorher. Also dass da britische Soldaten offenbar auf

45:48

ukrainischem Boden agieren, das wird aber offenbar in

45:52

Großbritannien als schwerer Vertrauensbruch bewertet, dass das

45:55

jetzt da noch mal an die Öffentlichkeit gekommen ist. Also

45:57

Exverteidigungsminister Ben Wallace, der hat gesagt, der NATO Partner

46:00

Deutschland sei weder sicher noch zuverlässig, da russische

46:04

Geheimdienste die Deutschen offenbar in großem Stil belauschten.

46:07

Also auch da noch mal die Frage,

46:09

wie steht Scholz außenpolitisch

46:12

da und als was für ein Partner wird er angesehen?

46:15

Tja, ich würde sagen, er steht mit heruntergelassenen Hosen da.

46:17

Wobei das, wenn man ehrlich ist, dann auch nicht mehr

46:20

ganz dem Stand der Debatte entspricht. Ich bin jetzt nicht

46:23

sicher, wann Ben Wallace das gesagt hat, vermutlich bevor deutlich

46:26

wurde, dass es eben jetzt kein Hack war im deutschen Webex Server.

46:29

Also ich habe das nicht noch mal recherchiert, aber meine Vermutung

46:32

wäre, dass er das heute vielleicht nicht mehr in dieser Schärfe

46:34

formulieren würde. Denn wie gesagt, Telefongespräche

46:36

abzuhören, das ist jetzt No Rocket Science. Das machen die Briten auch.

46:40

Und ich bin absolut sicher, dass auch die Russen wiederum in

46:42

Großbritannien serienweise Telefongespräche mitschneiden.

46:45

Also da würde ich mich an Ben Wallace' Stelle nicht so weit aus

46:48

dem Fenster hängen. Aber wie gesagt, Deutschland sieht

46:51

da einfach nicht gut aus, weil es in diesem Fall jetzt eben Deutschland

46:54

getroffen hat. Und eins ist klar,

46:56

diese Geschichte, insbesondere mit den neuen Infos zur Programmierung

46:59

des Taurus, die dürfte auf jeden Fall dafür sorgen, dass die

47:02

Diskussion um die Lieferung weiterläuft.

47:04

Heute, Mittwoch früh, ist was Neues rausgekommen,

47:09

und zwar das neue Jahrbuch Steuergerechtigkeit.

47:12

Die Autor:innen, die haben die steuerpolitischen Versprechen zur

47:15

Bundestagswahl analysiert,

47:17

der verschiedenen Parteien und dann auch mit dem Koalitionsvertrag

47:20

abgeglichen und ziehen jetzt eine Halbzeitbilanz der Ampel, was

47:23

das Thema Steuern und Steuergerechtigkeit angeht.

47:26

Und das Ganze kommt vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, Ulf.

47:30

Ja das Netzwerk Steuergerechtigkeit ist eine unabhängige NGO.

47:34

Sie tritt ein für ein gerechteres Steuersystem in Deutschland.

47:37

Und sie wird getragen vor allem von Akteuren aus Gewerkschaften,

47:41

Kirchen, anderen Nichtregierungsorganisationen, aber

47:43

auch eine Reihe von Einzelpersonen

47:45

aus Verwaltung und Wissenschaft. Und alle die vereint

47:49

die Bemühung um das, was sie ein gerechteres Steuersystem nennen.

47:52

Aber Gerechtigkeit ist natürlich immer auch was sehr Subjektives.

47:55

Und wir wollen uns heute Morgen mal genauer anschauen, was heißt

47:59

denn Gerechtigkeit beim Thema Steuern?

48:01

Und dafür haben wir uns Christoph

48:04

Trautvetter eingeladen. Er ist der Koordinator des Netzwerks

48:07

Steuergerechtigkeit und er betreut zusätzlich dort die Themenbereiche

48:11

Unternehmenssteuern, Schattenfinanzen und internationale

48:15

Steuergerechtigkeit. Und wir freuen uns sehr, ihn im

48:18

Interview zu haben. Herzlich willkommen in der Lage der

48:20

Nation, Herr Trautvetter.

48:21

Hallo, ich freue mich, hier zu sein.

48:23

Ja, Herr Trautvetter, was verstehen Sie denn unter einem gerechten

48:26

Steuersystem? Was ist Gerechtigkeit bei Steuern?

48:29

Also, das ist, wie Sie schon richtig sagten, erst mal eine subjektive

48:32

Frage. Ich habe also auch da meine persönliche Meinung.

48:36

Aber in unserem Jahrbuch gucken wir vor allen Dingen erst mal auf

48:39

das gesamte Steuersystem.

48:41

Und wir sehen Gerechtigkeitslücken,

48:44

wo glaube ich aus meiner Sicht fast alle zustimmen würden, dass das noch

48:48

nicht gerecht ist. Und wir sagen erstmal zumindestens

48:50

diese Gerechtigkeitslücken schließen

48:52

und dann gucken, wie es weitergehen kann. Ich fasse es mal ganz grob

48:56

zusammen. Die meisten Menschen, die Durchschnittsverdienerfamilie in

48:59

Deutschland gibt ungefähr die Hälfte von dem, was sie

49:03

verdient, an Sozialabgaben und Steuern in die Gemeinschaftskasse.

49:07

Ähnlich sieht es beim sogenannten Reichensteuersatz aus.

49:10

Der liegt mit Soli bei ungefähr 47 %.

49:13

Also das ist das, was wir im Prinzip

49:15

auch von den, von den Reichen, von den stärksten Schultern im Prinzip

49:18

als Beitrag erwarten. Aber einige superreiche

49:22

Milliardäre, die zahlen deutlich weniger, auch die großen Konzerne,

49:26

die profitabelsten Konzerne zahlen deutlich weniger.

49:29

Ein Milliardär, den wir uns angeguckt haben zahlt

49:33

25 %, ein Immobilienmilliardär

49:36

sogar nur 17 %. Und die großen Digitalkonzerne

49:39

aus den USA und aus dem Ausland, die zahlen auf ihre in Deutschland

49:42

erwirtschafteten Gewinne nur 3 %,

49:45

sind also weit, weit weg von dem, was wir eigentlich von ihnen

49:48

erwarten, von dem, was der durchschnittliche Unternehmer zahlt,

49:51

von dem, was die Durchschnittsverdienerfamilie zur Gemeinschaftskasse gibt.

49:54

Und das ist erst mal, glaube ich,

49:57

ganz allgemein ungerecht.

49:59

Weit entfernt von dem, worauf wir uns eigentlich gesellschaftlich

50:02

bisher schon geeinigt haben. Und deswegen kann man, glaube

50:06

ich, erst mal die persönlichen Meinungen zur Gerechtigkeit sogar

50:09

noch zurückstellen und erst mal sagen, wir sollten zumindest das,

50:12

worauf wir uns schon geeinigt haben, erst mal umsetzen.

50:15

Also Sie würden davon ausgehen, dass es so eine Art gesellschaftlichen

50:18

Konsens gibt, dass zumindest mal alle gleich belastet werden

50:21

sollten. Oder gibt es sogar nach Ihren Vorstellungen so was wie

50:25

Einigkeit darüber, dass stärkere

50:27

Schultern auch tatsächlich stärker belastet werden können?

50:30

Also das steht ja auch in unserem Grundgesetz. Im Prinzip also das

50:33

Leistungsfähigkeitsprinzip

50:35

bei der Besteuerung, das gilt in Deutschland, dass eben

50:38

starke Schultern mehr tragen

50:41

sollen als schwache. Und wir haben eine progressive

50:44

Einkommenssteuer, also einen steigenden Steuersatz mit steigendem

50:47

Einkommen, der in der Theorie auch so funktioniert, dass Menschen

50:51

mit höheren Einkommen eben höhere Steuersätze und höhere Anteile von

50:54

ihrem Einkommen auch zur Gemeinschaftskasse beitragen.

50:58

Aber von dieser eigentlich

51:00

progressiven Einkommenssteuer gibt es eben große Ausnahmen, die

51:04

in den letzten Jahrzehnten eingeführt worden.

51:06

Also das sah vor 30 Jahren noch ganz anders aus.

51:09

Da haben die Milliardäre, die wir uns angeguckt haben, noch 60 %

51:13

Steuern gezahlt. Sie haben es aber geschafft, in den

51:15

letzten 30 Jahren ihren Steuersatz auf 25 % zu senken

51:18

und eben damit weit von dem,

51:21

worauf wir uns eigentlich gemeinschaftlich, glaube ich, nach

51:24

wie vor verständigt haben und dem, was auch in unserem Grundgesetz

51:26

steht, dass starke Schultern mehr

51:28

tragen sollen als schwache.

51:30

Jetzt haben Sie, Herr Trautvetter, so ein paar Baustellen schon

51:33

genannt. Also ich habe mir da die Digitalunternehmen gemerkt

51:36

und die Milliardäre, die eben unverhältnismäßig wenig zahlen

51:40

aus Ihrer Sicht. Was sind denn noch wichtige

51:43

Baustellen, wenn Sie das Steuersystem anschauen?

51:45

Also wo muss da auch noch aus Ihrer Sicht rumgewerkelt werden?

51:49

Also die Dinge hängen ja eng zusammen.

51:52

Die Milliardäre sind oft auch Eigentümer von großen Konzernen.

51:56

Die zahlen also die Unternehmenssteuer auf die

51:58

Unternehmensgewinne und dann meistens auch nichts mehr obendrauf.

52:03

Dann kommt als nächstes noch dazu,

52:05

dass sehr viele von den großen

52:07

Vermögen mittlerweile in der zweiten, dritten, vierten, fünften

52:10

oder sechsten Generation in der Familie bleiben und eben von

52:15

Generation auf Generation übertragen werden.

52:18

Und da gibt es in Deutschland eigentlich eine Erbschaftssteuer von

52:21

bis zu 50 %. Auch da gilt, wer

52:24

besonders große Vermögen erbt, zahlt

52:27

besonders wenig. Wir haben uns jetzt aus der

52:29

aktuellen Steuerstatistik von 2022

52:32

Zahlen angeschaut, da haben 24

52:34

Menschen zusammen 6 Milliarden Euro geschenkt bekommen

52:38

und haben darauf insgesamt nur 4 %

52:41

Steuern gezahlt. Also im Prinzip eine

52:43

Steuerermäßigung, ein Steuererlass von 1,43 Milliarden Euro

52:48

im Vergleich zu dem, was sie eigentlich hätten zahlen müssen,

52:50

bekommen. Also das ist die nächste große

52:52

Baustelle, die immer noch dazugehört.

52:55

Und es gibt darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Baustellen in

52:58

der Steuerverwaltung, die

53:00

nicht konsequent genug dafür sorgt,

53:02

dass alle auch gleich besteuert werden, dass Steuerhinterziehung

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konsequent verfolgt wird.

53:07

Wir verfolgen in Deutschland Schwarzfahrer zehnmal so hart wie

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Steuerhinterzieher. Das kann man so ganz grob sagen.

53:14

Wir haben auch bei der Verbrauchssteuer große

53:17

Ungerechtigkeiten oder Probleme aus gesundheitlicher und

53:20

umweltökologischer Sicht.

53:22

Privatjets und Superjachten

53:25

kommen teilweise am Emissionshandel, auch an der Kerosinsteuer, vorbei

53:29

und an der CO2 Abgabe, die der normale Mensch auf sein Auto

53:33

zahlt. Oder die Luftverkehrssteuer, die der normale Mensch für seinen

53:36

Flug bezahlt. Zucker, Gummibärchen,

53:40

Fleisch aus Massentierhaltung ist steuerlich begünstigt mit

53:43

dem ermäßigten Steuersatz.

53:45

Sojamilch und Fleischersatz,

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der ökologisch sinnvoll ist, sind es nicht. Also es gibt neben den großen

53:52

Vermögen, neben den Erbschaften und den sehr hohen Einkommen noch eine

53:55

ganze Reihe von Baustellen. Die haben wir zusammengefasst und

53:58

systematisch einmal im Überblick aufbereitet in sieben

54:01

Reformvorschlägen, die zusammen

54:03

dafür sorgen würden, dass es ein gerechteres und ökologisches

54:06

Steuersystem am Ende auch geben könnte.

54:09

Ja, genau das wäre nämlich jetzt unsere nächste Frage gewesen.

54:11

Sie haben ja eine Vielzahl von

54:14

Problemen aus Ihrer Perspektive ausgemacht im geltenden Steuerrecht.

54:18

Wie könnte denn eine Reform des Steuersystems in Deutschland konkret

54:22

aussehen, wenn es so viele Baustellen gibt?

54:24

Da muss man ja auch irgendwie priorisieren. Was wären denn aus

54:27

Ihrer Sicht die ersten konkrete Schritte hin zu einem gerechteren

54:31

und vielleicht auch zugleich ökologischeren Steuersystem?

54:34

Es gibt ja schon eine ganze Reihe

54:36

von Reformvorschlägen, und es gibt auch einige sehr radikale

54:39

Vorschläge, die zum Beispiel

54:41

sagen, wir könnten das über die Sozialabgaben lösen und da irgendwie

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dafür sorgen, dass 100 Milliarden Euro mehr rumkommen.

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Wir könnten über eine hohe Vermögenssteuer 100 Milliarden Euro

54:52

mehr einnehmen. Wir könnten über eine Finanztransaktionssteuer,

54:55

komplett neue Steuer, 50 Milliarden einnehmen.

54:58

Also, es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen. Wir sagen aber,

55:01

eigentlich ist das Steuersystem

55:03

so, wie es ist, sehr, sehr tief

55:05

in der Gesellschaft verankert und bewegt sich nur in

55:07

Millimeterschritten im Prinzip vorwärts.

55:10

Und anstatt einer großen Reform

55:12

plädieren wir für sieben kleine

55:15

Nachbesserungen an verschiedenen Stellschrauben.

55:17

Auch mit dem Grund, dass im Prinzip große radikale

55:21

Steuerreformen auch zu großen Anpassungsreaktionen führen.

55:24

Deswegen sagen wir, lieber kleine Schritte an verschiedenen

55:27

Stellschrauben, dann wird es auch nicht zu großen Verzerrungen kommen.

55:31

Und wir kommen am Ende eben auch zum gleichen Resultat von 75

55:35

Milliarden Euro. Und wenn wir jetzt priorisieren

55:37

müssten oder wenn ich jetzt priorisieren soll, dann würde ich

55:40

sagen, als nächstes steht auf jeden Fall die Erbschaftssteuer auf

55:44

dem Plan. Das Bundesverfassungsgericht will

55:46

sich in den nächsten Monaten noch mal damit befassen und hat

55:50

auch in der Vergangenheit schon gesagt, dass der Zustand, den wir

55:52

jetzt haben, verfassungswidrig ist.

55:54

Also das ist die allerwichtigste und dringendste Baustelle.

55:58

Bis wir eine Vermögenssteuer bekommen, wird es wahrscheinlich

56:01

noch eine Weile dauern. Da ist der politische Widerstand

56:03

sehr groß. Aber wir sehen gerade, dass der

56:05

französische und der brasilianische Finanzminister das für diesen

56:09

Sommer noch mal auf die Agenda gesetzt haben und dass es vielleicht

56:12

international da erste Bewegungen gibt.

56:15

Ich denke, als nächste Priorität kommt dann in meiner Liste

56:18

tatsächlich die Frage der großen Konzerne, die viel,

56:22

viel zu mächtig geworden sind, wo wir internationale oder

56:26

auch nationale Lösungen brauchen, um dafür zu sorgen, dass die großen

56:29

Digitalkonzerne hier in Deutschland mehr Steuern zahlen.

56:31

Da sind sich eigentlich alle Menschen und auch alle Parteien

56:35

einig, dass das so nicht weitergehen kann. Da sind wir aber immer noch

56:38

weit davon entfernt. Also das wäre dann aus meiner Sicht

56:42

noch der nächste Schritt und alles andere kann man dann

56:45

Schritt für Schritt gucken. Also, ich glaube tatsächlich, die

56:48

Mehrwertsteuerreform wäre nötig.

56:51

Die fordert der Bundesrechnungshof aktuell mal wieder.

56:54

Die fordert er aber auch schon seit zehn, 20 Jahren.

56:56

Also da gibt es Reformbedarf.

56:58

Der ist aber sehr, sehr träge. Also wie gesagt, an vielen Ecken und

57:02

Enden Reformbedarf. Aber zunächst erst mal

57:05

Erbschaftssteuer, dann die großen

57:07

Vermögen und großen Konzerne, vielleicht auch mit dem

57:10

internationalen Schwung, der da

57:12

gerade herrscht und dann gucken,

57:14

was man sonst alles noch im Steuersystem verbessern kann.

57:16

Ich finde es spannend, weil sie vorher von so kleinen Projekten

57:20

gesprochen haben. Das, was Sie jetzt gerade geschildert haben, klingt für mich jetzt gar

57:23

nicht so klein, aber eben doch

57:25

nach einem Fokus auf sehr verschiedene Baustellen.

57:29

Ist da nicht die Gefahr, dass dann

57:31

der Fokus auf ein wichtiges Projekt so ein

57:35

bisschen verloren geht? Wenn Sie sagen, Sie wollen, das,

57:37

das, das, das, also viele in Anführungszeichen kleine Baustellen,

57:41

ist da dann nicht die Gefahr, dass da der Blick auf ein großes,

57:44

wichtiges Reformprojekt vielleicht verstellt wird?

57:47

Also das müssen Sie vielleicht auch noch mal die Politiker fragen,

57:50

und das würde ich persönlich auch Ihnen überlassen.

57:53

Also das soll die Politik entscheiden. Wir liefern nur die

57:56

Informationen und die Fakten zu und machen Vorschläge.

57:59

Wie das dann in den in den Wahlprogrammen für die nächste

58:02

Bundestagswahl oder eben in der politischen Diskussion sich

58:05

wiederfindet, da gibt es andere, die dafür zuständig sind.

58:08

Also das würde ich jetzt gar nicht als unsere Zuständigkeit sehen.

58:11

Aber ich gebe Ihnen an zwei Stellen auf jeden Fall Recht.

58:15

Das Reformpaket und auch jede einzelne dieser Reform, von der

58:18

Vermögenssteuer über eine Übergewinnsteuer von großen

58:21

Konzernen, das klingt tatsächlich

58:23

wie ein großes Projekt, wie eine radikale Änderung schon allein

58:27

für sich genommen und im Gesamtpaket von sieben Vorschlägen dann wie

58:31

eine sehr, sehr große Aufgabe.

58:33

Aber wenn man sich im Vergleich dazu mal die Herausforderungen anschaut,

58:37

die vor uns liegen und auch einfach mal zurückblickt auf

58:41

die letzten zwei Jahre Bundesregierung, wo sich gar nichts

58:44

bewegt hat, die letzten 20 Jahre im Prinzip, wo sich das Steuersystem

58:47

kaum mehr geändert hat, dann ist tatsächlich einfach der Reformbedarf

58:51

so groß, die Herausforderungen sind so groß, dass

58:54

im globalen Maßstab alle diese Reformen zusammengenommen

58:58

überhaupt nicht radikal sind

59:00

und eigentlich nur für eine

59:03

Wiederherstellung eines Gleichgewichts sorgen.

59:05

Also sie sorgen noch nicht dafür, dass die riesigen Vermögen, die

59:08

sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, irgendwie kleiner

59:12

werden oder abgetragen werden, sondern diese Reformen sorgen

59:15

insgesamt nur dafür, dass sie langsamer wachsen und sind deswegen

59:19

alles andere als radikal. Und wir brauchen einfach in der

59:22

Gesellschaft die Erkenntnis, dass dieses Update im Steuersystem ganz

59:25

dringend wichtig ist.

59:27

Aber mich würde da doch noch mal so ein bisschen die Perspektive der

59:29

praktischen Politik interessieren. Sie sagen, Sie liefern die Fakten

59:32

zu, aber die Fakten alleine reichen ja nicht.

59:35

Sie haben es eben schon angedeutet. Große Vermögen wachsen immer

59:39

weiter. Und die großen Vermögen haben

59:41

natürlich auch in der Ampel mit der FDP eine Partei, die sich

59:44

als ihre Fürsprecherin sieht.

59:47

Bleiben wir doch vielleicht mal bei der Reform der Erbschaftsteuer.

59:50

Selbst Menschen, die selber gar nicht wahnsinnig reich sind, sehen

59:53

ja eine Reform der Erbschaftssteuer in der Tendenz kritisch.

59:55

Woher soll denn dann gesellschaftlich diese breite

59:58

Bewegung kommen, um eine Reform der Erbschaftssteuer

1:00:02

durchzusetzen, die tatsächlich die großen Vermögen nicht so wie heute

1:00:06

weiter privilegiert, sodass sie teilweise nur ein paar Prozent an

1:00:09

Erbschaftssteuer zahlen. Wie sehen Sie da konkret die politische

1:00:12

Vision, dass da eine gesellschaftliche Mehrheit entstehen

1:00:15

könnte?

1:00:16

Also ich muss Sie da, glaube ich, leider noch mal enttäuschen.

1:00:20

Diese Frage kann ich erst mal nur mit Fakten beantworten.

1:00:23

Also wenn man sich die Vorschläge noch mal anguckt, dann geht es bei

1:00:26

den Ausnahmen von der Erbschaftssteuer, über die wir

1:00:28

reden, ungefähr um 300

1:00:30

Menschen jedes Jahr, die davon profitieren, also wirklich um

1:00:34

einen ganz, ganz, ganz kleinen Teil der Bevölkerung.

1:00:37

Der allergrößte Teil, 70 % der Menschen, die erben gar nichts

1:00:40

nennenswertes und sind überhaupt nicht betroffen. Und selbst die

1:00:42

anderen 30 %, die zahlen im Prinzip jetzt schon

1:00:46

die Erbschaftssteuer oder werden ausgenommen. Es geht tatsächlich nur

1:00:48

um 300 Menschen, also null Komma irgendwas Prozent der

1:00:52

Bevölkerung, die von so einer Reform überhaupt betroffen

1:00:56

wären. Das gleiche ist bei der Vermögenssteuer auf

1:00:58

Milliardenvermögen, über die wir sprechen. Da geht es um 200 Vermögen

1:01:01

und nicht um das Haus vom Arzt.

1:01:04

Und bei den Übergewinnen geht es um 200 große Konzerne.

1:01:07

Also es sind tatsächlich sehr, sehr wenige riesengroße Vermögen,

1:01:11

riesengroße Konzerne und Erbschaften

1:01:13

betroffen. Und trotzdem ist die politische

1:01:16

Herausforderung, die Mehrheit der Bevölkerung erst mal darüber zu

1:01:20

informieren und davon zu überzeugen,

1:01:22

dass es im Sinne der demokratischen

1:01:24

Mehrheit wäre, eben da für eine gerechte Besteuerung zu sorgen.

1:01:27

Die ist riesig. Ich finde das aus meiner Perspektive

1:01:30

einfach nur faszinierend,

1:01:33

wie das passieren kann, dass also eine Demokratie, die eigentlich

1:01:36

eine Mehrheitsentscheidung beinhaltet, es nicht schafft,

1:01:40

die 2 Millionen Unternehmer, die

1:01:42

45 %, 48 % Steuern zahlen, zu mobilisieren,

1:01:46

dafür zu sorgen, dass die 200 Großkonzerne das auch tun.

1:01:50

Und eine Politik, die es nicht schafft, die vielen

1:01:53

Durchschnittsverdiener und die Normalverdiener, die eben

1:01:56

die Hälfte von ihrem Einkommen abgeben müssen, da zu mobilisieren,

1:01:59

zu sagen, dass die Milliardäre, die 200 Milliardenvermögen, das

1:02:02

Gleiche tun. Das ist für mich tatsächlich

1:02:05

auch genauso ein Rätsel

1:02:08

wie für Sie. Und ich kann nur antworten, mehr als

1:02:12

dran glauben, dass die Demokratie in irgendeiner Form funktioniert, dass

1:02:15

wir eine demokratische Debatte über diese Probleme hinbekommen, wenn

1:02:19

die Leute sehen, wie ungerecht es ist. Mehr Antworten kann ich da

1:02:22

leider auch nicht liefern. Und diese demokratische Debatte, die

1:02:25

müssen unsere gewählten Politiker

1:02:27

oder die Parteien irgendwie organisieren.

1:02:30

Jetzt haben wir über vieles gesprochen, was nicht

1:02:33

so gut läuft und was sich

1:02:35

aus Ihrer Sicht ändern sollte. Jetzt haben Sie aber im Jahrbuch

1:02:38

Steuergerechtigkeit auch

1:02:40

ein paar Sachen angesprochen, die die Ampel aus Ihrer Sicht nicht so

1:02:43

verkehrt macht. Was läuft denn aus Ihrer Sicht

1:02:47

eigentlich schon ganz gut beim Thema Steuergerechtigkeit?

1:02:50

Da kann ich Ihnen zwei

1:02:52

Antworten geben. Einmal aus Sicht des Koalitionsvertrags, also

1:02:56

aus dem Minimalkompromiss.

1:02:58

Muss man ja so sagen. Also, die Koalitionäre sind mit

1:03:01

ganz, ganz unterschiedlichen Positionen aus ihren Wahlprogrammen

1:03:04

in den Koalitionsvertrag, in die Koalitionsverhandlungen gestartet.

1:03:07

Und da ist ein Nichtangriffspakt im Prinzip herausgekommen, wo weder

1:03:11

große Steuererhöhungen noch große Steuersenkungen drinne stehen und

1:03:15

vor allen Dingen technische Verbesserungen aufgelistet sind.

1:03:18

Von diesen technischen Verbesserungen im Koalitionsvertrag

1:03:21

ist zur Halbzeit ungefähr die Hälfte abgearbeitet, also die Homeoffice

1:03:25

Pauschale wurde angepasst, die Rentenbesteuerung wurde reformiert,

1:03:29

die globale Mindeststeuer umgesetzt,

1:03:31

CO2 Preise, Luftverkehrssteuer,

1:03:33

LKW Maut. Also es sind eine ganze Reihe an

1:03:36

Dingen passiert, die im Koalitionsvertrag drinstehen, die

1:03:38

aber aus Gerechtigkeitssicht keine, keine Änderung bringen.

1:03:42

Die spannendsten Fortschritte gab es aus unserer Sicht im Bereich der

1:03:46

Geldwäschebekämpfung und im Bereich

1:03:48

der Bekämpfung von Finanzkriminalität.

1:03:51

Da gibt es aktuell einen

1:03:54

sehr, sehr umfassenden Gesetzesentwurf, der im Bundestag

1:03:57

liegt, das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz. Und da wird jetzt aktiv gerade

1:04:02

darum gestritten, ob die Koalition sich irgendwie einigen

1:04:06

kann, tatsächlich verdächtige Vermögen, anonyme Briefkästen

1:04:10

noch in dieser Regierungszeit

1:04:12

effektiv zu bekämpfen. Also das ist gerade ganz aktuell

1:04:15

noch spannend. Das wäre ein tatsächlich

1:04:18

großer Wurf. Den hat der Finanzminister Lindner auch

1:04:21

angekündigt. Also dass wir da Reformen

1:04:24

erwarten können, die endlich auch

1:04:26

dafür sorgen, dass die großen Fische, die großen

1:04:28

Finanzkriminellen, gefangen werden. Das ist aus meiner Sicht die größte

1:04:32

und spannendste Reform. Und auf diesem Weg gegen

1:04:35

die anonymen Briefkästen, da gab es eine aus meiner

1:04:39

Sicht spektakuläre Reform, ich würde es einen Geniestreich nennen.

1:04:43

Das ist also im Rahmen der Diskussion um die russischen

1:04:46

Sanktionen im letzten Jahr gelungen. Nachdem wir 20 Jahre im Prinzip

1:04:49

darum gerungen haben,

1:04:51

gibt es jetzt seit Juli 2023

1:04:55

ein zentrales Immobilienregister,

1:04:57

also einen Ort, wo die Information

1:04:59

über alle Immobilieneigentümer Deutschlands gesammelt

1:05:03

ist und wo jetzt 100 Menschen daran arbeiten, diese Information

1:05:06

über die Immobilieneigentümer mit dem Transparenzregister zu

1:05:10

verknüpfen und die Daten aufzuräumen

1:05:12

und die Polizei und die Behörden

1:05:14

im Prinzip in die Lage zu versetzen,

1:05:16

zu wissen, wem die Immobilien in Deutschland gehören.

1:05:18

Das ist, wie gesagt, ein Riesenfortschritt.

1:05:21

Da bleiben noch ganz viele Lücken im Transparenzregister übrig.

1:05:24

Große Fragezeichen. Und die sollen hoffentlich, wenn

1:05:27

sich der Bundestag da jetzt darauf einigt und die Koalition sich darauf

1:05:30

einigt, dann von professionellen Ermittlern geschlossen werden, die

1:05:34

anonyme Vermögensstrukturen aufdecken und abstellen.

1:05:37

Ja, da sind wir mal gespannt, ob das tatsächlich so durch den Bundestag

1:05:41

und durch den Bundesrat gehen wird. Aber für heute erst einmal ganz

1:05:44

herzlichen Dank an Christoph Trautvetter vom Netzwerk

1:05:48

Steuergerechtigkeit.

1:05:49

Ich bedanke mich.

1:05:50

Und wir kommen vom Thema

1:05:52

Steuergerechtigkeit zu einem ganz

1:05:54

anderen Thema, aber auch ein innenpolitisches.

1:05:57

Vielleicht ist das der Link, der ganz gut passt.

1:05:59

Es geht ums Thema Clan-Kriminalität

1:06:03

und ich habe da jetzt eine Pause vor dem Wort gemacht, weil ich dieses

1:06:06

Wort Clan-Kriminalität in Anführungszeichen setzen möchte,

1:06:09

weil das wird jetzt unser Thema.

1:06:11

Ist dieses Wort, ist dieser Begriff

1:06:14

ein angemessener, um ein Phänomen

1:06:17

kriminologischer Art zu beschreiben?

1:06:19

Es gab Ende Februar in Deutschland, Spanien und Polen Razzien wegen des

1:06:23

Verdachts auf Veruntreuung und Geldwäsche.

1:06:25

Und Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens, die hat diese

1:06:29

Polizeiaktion als Ermittlungserfolg gegen die,

1:06:32

und da ist er wieder der Begriff, Clan-Kkriminalität bezeichnet.

1:06:36

In der Mitteilung hat sie erklärt:

1:06:39

"Diese hochkriminellen Gruppierungen zeichnen sich durch eine enorme

1:06:42

Kreativität und Anpassungsfähigkeit

1:06:44

an sich ändernde Rahmenbedingungen

1:06:46

aus."

1:06:47

Dabei stellt neue Forschung eigentlich komplett in Frage, ob

1:06:50

dieser Begriff der Clan-Kriminalität überhaupt geeignet ist, um eine

1:06:54

bestimmte Form von Kriminalität trennscharf beschreiben zu können.

1:06:59

Ja, es fehle an einer wissenschaftlichen Grundlage des

1:07:01

Begriffs, ist das Fazit eines neuen wissenschaftlichen Sammelbandes,

1:07:04

entstanden im Rahmen des Verbundprojekts Kriminalität

1:07:08

großfamiliär begründeter Strukturen,

1:07:10

kurz KONTEST, gefördert vom Bundesministerium für Bildung

1:07:14

und Forschung. Aber ungeachtet dieser

1:07:16

wissenschaftlichen Fragezeichen hat der Begriff ja gerade politisch

1:07:20

einige Konjunktur. Und nun stellt sich raus, dass der

1:07:22

Begriff möglicherweise völlig ungeeignet ist.

1:07:25

Wir wollten das genauer wissen.

1:07:27

Genau. Und dazu fragen wir eine Kriminologin, die sich seit

1:07:31

vielen Jahren mit diesem Begriff befasst und zur sogenannten

1:07:34

Clan-Kriminalität forscht.

1:07:36

Ich sag Herzlich Willkommen in der Lage der Nation Laila Abdul-Rahman

1:07:40

von der Universität in Frankfurt am Main.

1:07:42

Ja, Guten Tag. Hallo.

1:07:44

Ja. Laila Abdul-Rahman forscht an der Goethe-Universität Frankfurt am

1:07:48

Main mit dem Schwerpunkt Polizeiforschung.

1:07:50

Am Lehrstuhl von Professor Dr. Tobias Singelnstein, der ja auch

1:07:53

schon öfter in der Lage der Nation zu Gast war. Sie ist Mitautorin des

1:07:57

Buchs "Generalverdacht, wie mit dem Mythos Clan-Kriminalität

1:08:01

Politik gemacht wird", das im vergangenen Oktober erschienen ist.

1:08:04

Und sie wollte diesen Begriff erst

1:08:06

mal auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen.

1:08:08

Und sie war dann überrascht, wie dünn genau diese wissenschaftliche

1:08:12

Grundlage war. Frau Abdul-Rahman, wir müssen erst

1:08:15

mal kurz auf diesen Begriff selbst schauen. Was soll denn der Begriff

1:08:19

in Anführungsstrichen Clan-Kriminalität überhaupt genau beschreiben?

1:08:22

Also der Begriff Clan-Kriminalität, der ist sehr, sehr weit definiert.

1:08:28

Letztendlich fällt darunter

1:08:30

wirklich jegliches delinquente Verhalten von Personen,

1:08:34

die eben von der Polizei als sogenannte Clanangehörige definiert

1:08:38

werden. Das heißt, anders

1:08:40

als es, glaube ich, in der öffentlichen Wahrnehmung sehr häufig

1:08:43

wahrgenommen wird, fällt darunter nicht nur schwere organisierte

1:08:48

Kriminalität, sondern eben auch

1:08:50

ein ganz großer Teil an Allgemeinkriminalität.

1:08:53

Das heißt alle möglichen Formen

1:08:55

auch leichter Straftaten

1:08:57

und sogar auch Ordnungswidrigkeiten, also selbst Verkehrsverstöße,

1:09:01

Falschparken, ja alles im ordnungswidrigen Bereich

1:09:05

werden eben polizeilich registriert,

1:09:07

wenn sie sogenannten Clanangehörigen

1:09:09

zugeordnet werden.

1:09:11

Das heißt also, es geht letztlich gar nicht um die Art von

1:09:13

Kriminalität, sondern Kriminalität fällt in diesen Topf

1:09:16

Clan-Kriminalität allein deswegen,

1:09:18

weil bestimmte Menschen sich strafbar oder auch nur

1:09:21

ordnungswidrig verhalten?

1:09:23

Genau. Und das ist letztlich auch die zentrale Kritik an

1:09:27

dem Begriff. Es ist letztendlich personenbezogen

1:09:31

und am Ende wird letztendlich

1:09:33

Kriminalität auch kollektiviert und sozusagen ganzen Familien

1:09:38

zugeschrieben. Und das ist natürlich dann erst

1:09:41

mal fraglich und begründungsbedürftig,

1:09:43

weil wir dann natürlich auch ein großes Diskriminierungspotential

1:09:47

haben. Also es werden auch nur ganz

1:09:50

bestimmte Familien und Menschen mit bestimmten Herkünften

1:09:53

hier noch mal gesondert registriert.

1:09:57

In der Definition selbst

1:09:59

wird jetzt keine bestimmte Herkunft mehr adressiert, aber in den

1:10:02

polizeilichen Lagebildern steht wortwörtlich drin, dass

1:10:06

der polizeiliche Fokus eben nur auf bestimmten Familien liegt,

1:10:09

nämlich arabischstämmigen, türkischstämmigen oder auch

1:10:12

kurdischstämmigen Familien, die eben insbesondere damals nach

1:10:16

dem Libanonkrieg nach Deutschland gekommen sind.

1:10:18

Sie haben jetzt diese Lagebilder

1:10:20

schon angesprochen. Die Polizei arbeitet ja damit um,

1:10:24

korrigieren Sie mich, wenn ich das falsch erkläre, aber um sozusagen

1:10:28

so ein Verdachtsmoment oder einen Fokus ihrer Arbeit festzulegen.

1:10:32

Das heißt, wenn in diesen Lagebildern das Wort

1:10:35

Clan-Kriminalität vorkommt, ist dann auch der Fokus auf

1:10:39

bestimmte Familien mit bestimmten Namen gerichtet, richtig?

1:10:42

Ja, das ist korrekt. Es ist von Bundesland zu Bundesland

1:10:46

so ein bisschen unterschiedlich. Aber beispielsweise in

1:10:48

Nordrhein-Westfalen wird es tatsächlich so gehandhabt, dass

1:10:51

Listen mit bestimmten Nachnamen existieren, die dann eben

1:10:55

diese Clanzugehörigkeit definieren.

1:10:58

In Berlin wird es ein bisschen anders gemacht mit sogenannten

1:11:00

ermittlungsstützenden Hinweisen,

1:11:02

wo dann die Polizei im Einzelfall prüft, um was für Familienangehörige

1:11:06

es sich eben handelt. Aber am Ende des Tages ist die

1:11:09

Bezugsgröße immer die Abstammung.

1:11:11

Und das ist natürlich die Kritik

1:11:13

auch daran, dass wir hier eigentlich, wenn wir es genauer

1:11:16

betrachten, eine institutionalisierte Form einer

1:11:20

rassistischen Ungleichbehandlung haben und es doch sehr

1:11:23

erklärungsbedürftig ist, warum über bestimmte Bevölkerungsgruppen eigene

1:11:27

polizeiliche Statistiken geführt werden.

1:11:30

Vor allen Dingen, wenn wir uns auch bewusst machen, dass wir zum

1:11:33

Beispiel in der Diskussion um Racial Profiling, ja, da wird ja immer

1:11:37

wieder gefordert, wir bräuchten eine bessere statistische Erfassung,

1:11:41

wer eigentlich von polizeilichen Kontrollen erfasst wird.

1:11:45

Und da wird aber immer wieder auch angeführt, dass wir in Deutschland

1:11:48

aufgrund unserer Geschichte, aufgrund unserer Historie eigentlich

1:11:51

keine intensivierte polizeiliche

1:11:54

Erfassung haben wollen. Also da wird dann eben gesagt, wir

1:11:57

können die Herkunft, die Ethnie

1:12:00

nicht erfassen, wir sollten das nicht tun.

1:12:02

Aber hier in diesem Fall, im Fall der Clan-Kriminalität, wird das

1:12:05

eigentlich schon die ganze Zeit gemacht.

1:12:08

Aber um vielleicht die Bedeutung dieses, dieses problematischen

1:12:11

Begriffs besser einschätzen zu können, was sagen denn da eigentlich

1:12:14

die Zahlen? Also welche Bedeutung

1:12:16

nimmt denn diese Zuschreibung von sogenannter Clan-Kriminalität in der

1:12:19

polizeilichen Beschreibung von Kriminalität eigentlich ein?

1:12:23

Ja, also die Bedeutung

1:12:25

des Phänomens muss man natürlich einerseits wieder einordnen.

1:12:29

Es ist eben, ich würde sagen,

1:12:31

zum Teil eine überschätzte Bedrohungslage, weil wir ja auch

1:12:34

diese Ordnungswidrigkeiten und kleineren Delikte mit drin haben.

1:12:38

Aber selbst wenn wir jetzt alles zusammennehmen, zum Beispiel

1:12:41

waren im Jahr 2022

1:12:44

in der Berliner Polizeilichen Kriminalstatistik 872

1:12:49

Straftaten sogenannten Clanangehörigen zugeordnet.

1:12:53

Und das klingt vielleicht erst mal viel, aber wenn wir das dann in

1:12:56

einem Gesamtverhältnis sehen, sind es eigentlich nur 0,2 %

1:13:00

der Gesamtkriminalität in Berlin.

1:13:03

Und das ist in anderen Bundesländern

1:13:05

ähnlich. Außerdem auch sind das Hellfelddaten.

1:13:09

Das bedeutet, wir wissen auch gar nicht, ob jetzt diese Fälle am Ende

1:13:12

tatsächlich zu einer Verurteilung geführt haben oder vielleicht auch

1:13:15

zu einem Freispruch, zu einer Einstellung, aber auch so

1:13:18

insgesamt jetzt vielleicht nicht der große Teil, den man vermuten könnte.

1:13:23

Außerdem, wenn man es noch mal ins Verhältnis zur organisierten

1:13:25

Kriminalität setzen möchte,

1:13:28

dann machen nur insgesamt 7 %

1:13:30

aller Ermittlungsverfahren wegen organisierter Kriminalität

1:13:34

sind eben Verfahren wegen Clan-Kriminalität. Also auch hier

1:13:37

ist es auch nicht der größte

1:13:39

Teil, also bei weitem nicht, sondern auch nur ein geringer Teil

1:13:43

an organisierter Kriminalität in Deutschland tatsächlich

1:13:46

Clan-Kriminalität.

1:13:46

Wenn Sie jetzt sagen, dieser Begriff

1:13:49

Clan-Kriminalität ist nicht passend und nicht trennscharf, gibt es einen

1:13:53

Begriff, der aus Ihrer Sicht besser passen würde?

1:13:55

Also ich würde sagen,

1:13:57

dass es letztlich nicht nur um den Begriff geht, sondern

1:14:01

wir müssen uns eben fragen, was

1:14:03

wird hier eigentlich erfasst mit diesem Begriff?

1:14:06

Und müssen wir nicht auch was an der polizeilichen Praxis ändern?

1:14:10

Und grundsätzlich glaube ich,

1:14:12

dass es ja schon Konzepte gibt, die beispielsweise auf die organisierte

1:14:16

Kriminalität angewendet werden können, wenn in diesem Bereich

1:14:20

auch Familiennetzwerke

1:14:23

eine Rolle spielen, dann ist es der Polizei natürlich unbenommen, diese

1:14:27

auch aufzuklären. Aber in den ganzen anderen Bereichen

1:14:31

sehe ich eigentlich keine Notwendigkeit, hier eigene

1:14:34

Statistiken zu führen. Und das zweite wäre eben auch,

1:14:38

es sind so Begriffe in der Diskussion wie familienbasierte

1:14:41

Kriminalität usw. Wenn es darum aber geht, warum das

1:14:45

dann aber nur für Menschen mit einer bestimmten Herkunftsgeschichte

1:14:49

gelten soll? Weil, wie ich anfangs schon gesagt

1:14:52

habe, in den Lagebildern steht ausdrücklich drin, es geht nur

1:14:55

um diese arabischstämmigen oder auch kurdischstämmigen

1:14:58

Familien. Und wenn sich eben eine deutsche

1:15:01

oder deutsch gelesene Familie

1:15:03

in der gleichen Art und Weise verhalten würde, dann wäre sie auch

1:15:07

nicht in dieser Statistik drin. Und dementsprechend würde

1:15:10

ich dafür plädieren, wenn wir von familienbasierter Kriminalität

1:15:14

sprechen, dann muss

1:15:16

das aber auch für alle Menschen in einer gleichen Weise

1:15:20

gelten und kann dann eben nicht nur in der Praxis am Ende doch

1:15:24

wieder für nur bestimmte Gruppen gelten.

1:15:27

Also wenn man das jetzt mal zuspitzt, gibt es dann überhaupt das Bedürfnis

1:15:31

nach einem Nachfolgebegriff, der dann hoffentlich nicht

1:15:33

diskriminierend, nicht rassistisch wäre? Oder reicht nicht eigentlich

1:15:36

der Begriff der organisierten Kriminalität, weil der ja jedenfalls

1:15:39

im Ansatz ethnisch neutral ist?

1:15:42

Also ich persönlich würde das so sehen. Es gibt natürlich

1:15:45

viele, gerade aus der polizeilichen Praxis, die das anders sehen,

1:15:49

aber aus meiner Sicht wäre das wahrscheinlich das, wo man dann

1:15:53

wieder hin müsste, dass man wirklich einmal grundsätzlich hinterfragt,

1:15:58

ja, was wir hier eigentlich tun wollen. Und auch wenn es dann

1:16:02

darum geht, wie wir eigentlich auf diese Formen der Kriminalität

1:16:05

reagieren und dann ist es glaube ich, eher angezeigt, da wirklich

1:16:08

zu differenzieren und gerade auch schwere von leichter Kriminalität zu

1:16:11

unterscheiden, um da überhaupt auch, ja sage ich mal,

1:16:15

evidenzbasiert voranzukommen.

1:16:17

Vielleicht dann eine Nachfrage dazu, wenn sie sagen, Praktiker:innen aus

1:16:20

der Polizei sehen da ein Bedürfnis,

1:16:22

was soll denn dann noch beschrieben werden? Also was bleibt denn quasi,

1:16:26

was unter dem Begriff der OK, der organisierten Kriminalität nicht zu

1:16:29

beschreiben ist?

1:16:31

Ja, das ist natürlich eine Frage, die man wahrscheinlich eher an die

1:16:34

an die Polizei richten muss. Wir sehen eben das an diesen

1:16:37

großen Einsätzen, diesen großen Razzien, die da zum Teil gemacht

1:16:41

werden, das sind ja zum Teil auch sogenannte Verbundseinsätze.

1:16:45

Das heißt, die Polizei ist da eigentlich gar nicht federführend,

1:16:47

sondern ist in Amtshilfefunktion,

1:16:50

zum Beispiel für die Ordnungsämter. Dann werden dann in großem Maße

1:16:55

Gewerbekontrollen durchgeführt, zum Beispiel von Cafes,

1:16:58

Bäckereien, Shisha Bars sind da sehr stark im Fokus.

1:17:02

Und da geht es eigentlich gar nicht um erst mal vordergründig um

1:17:06

eine strafprozessuale Maßnahme,

1:17:08

sondern über diese Verbundseinsätze

1:17:11

sollen eigentlich Erkenntnisse generiert werden über

1:17:15

organisierte Kriminalitätsstrukturen.

1:17:17

Aber auch da ist so ein bisschen

1:17:19

fraglich, wie effektiv

1:17:21

und effizient die Maßnahmen eigentlich sind, weil wir eben

1:17:25

aus Berichten wissen, es wird überwiegend dann doch zum

1:17:28

Beispiel unversteuerte Shisha Tabak

1:17:30

gefunden. Und auch eine Analyse des LKA

1:17:34

Berlins hat ergeben, dass es zum Teil eher Zufallsfunde sind,

1:17:38

die dann noch über organisierte Strukturen gefunden werden.

1:17:41

Und ich glaube, es ist natürlich

1:17:43

ein hilfreiches Mittel, wenn ich, sage ich mal, sehr breit

1:17:47

kontrollieren kann in bestimmten Bereichen und erhoffe mir dann

1:17:50

Erkenntnisse über bestimmte

1:17:52

Netzwerke. Aber diese wahnsinnig große

1:17:55

Streubreite, die ist eben sehr problematisch, weil hier wirklich

1:17:59

eine ganze Reihe an Personen

1:18:01

und da dann eben auch nicht nur Familienangehörige, sondern auch

1:18:04

Menschen, die eben in diesem bestimmten Vierteln leben,

1:18:07

die dort ihr Gewerbe betreiben, die werden eben kriminalisiert.

1:18:11

Und daher rührt ja auch der Widerstand.

1:18:13

Also die Kritik kam jetzt auch gar nicht vorrangig aus der

1:18:16

Wissenschaft, sondern man muss das ganz klar sagen, die Kritik

1:18:20

kommt von den Betroffenen selbst oder von Menschen, die

1:18:22

beispielsweise in Neukölln leben

1:18:25

oder auch in Nordrhein-Westfalen in den einschlägigen Städten leben,

1:18:28

die sich hier eben tagtäglich

1:18:30

schon fast von solchen Einsätzen eben kriminalisiert sehen und da

1:18:34

ja auch ihrem Alltagsgeschäft sozusagen nicht mehr nachgehen

1:18:38

können.

1:18:38

Frau Abdul-Rahman, Sie haben in Ihrer Forschung auch Anhaltspunkte

1:18:42

dafür gefunden, dass eben nicht nur Beschwerden von den

1:18:45

Menschen, die dort leben, selber kommen, sondern dass die Verwendung

1:18:48

des Begriffs der Clan-Kriminalität auch Folgen haben kann für die

1:18:51

Präventionsarbeit, wenn es um Kriminalität geht.

1:18:55

Welche denn?

1:18:56

Ja, also im Zusammenhang mit Clan-Kriminalität wird ja immer

1:18:59

wieder die sogenannte Zero Tolerance

1:19:02

Strategie diskutiert oder auch dass eben sehr, sehr

1:19:06

hart vorgegangen wird, dass quasi keinerlei Toleranz

1:19:10

mehr gegenüber diesen Familien herrschen soll.

1:19:13

Und das ist natürlich ein großes Problem, wenn man eigentlich

1:19:16

Präventionsarbeit machen will, die dann wiederum auf Vertrauen

1:19:21

und Vertrauensaufbau beruhen

1:19:23

muss. Und da gibt es eben auch Forschung zu, die mit

1:19:26

Menschen aus der sozialen Arbeit gesprochen haben, die eben sagen,

1:19:30

diese Diskriminierung, diese Stigmatisierung, die führt eben

1:19:33

immer mehr dazu, dass Vertrauen verloren geht und man dadurch

1:19:36

eigentlich auch keine soziale

1:19:38

Arbeit mehr machen muss. Also ein Beispiel, wenn

1:19:43

solche Familien, die ja selbst auch

1:19:45

auf eine jahrzehntelange

1:19:47

Entrechtungsgeschichte zurückblicken, na also, hier waren

1:19:49

sie sehr lange von gesellschaftlicher Teilhabe

1:19:53

ausgeschlossen, weil es sogenannte Kettenduldungen gab, die Zugang zum

1:19:56

Arbeitsmarkt verweigerten usw.

1:19:59

Und wenn, dann vor diesem Hintergrund auch Politiker fordern

1:20:03

beispielsweise, dass Familien die Kinder weggenommen werden.

1:20:06

Das sind ja immer so die Schlagzeilen, dass aus

1:20:09

diesen Familien quasi die Kinder rausgeholt werden müssen, damit sie

1:20:12

nicht auch kriminell werden usw.,

1:20:14

dann ist eben eigentlich gar keine vertrauensvolle Sozialarbeit mehr

1:20:18

möglich, sowohl für die Familien

1:20:20

als auch für die Jugendlichen, die sich dann eben auch das als

1:20:24

Jugendliche, als Clanjugendliche Clankinder stigmatisiert werden.

1:20:28

Wir haben da Berichte über Kinder, die schon in der Grundschule so

1:20:31

bezeichnet werden und das produziert natürlich Ausschlüsse,

1:20:35

gesellschaftliche Ausschlüsse und Diskriminierungen sozusagen

1:20:39

am laufenden Band. Und dann wird es auch immer

1:20:41

schwieriger, tatsächlich Personen zu erreichen, die möglicherweise

1:20:45

wirklich Unterstützung brauchen und die vielleicht auch ein Risiko

1:20:48

haben, sonst eben nicht mehr

1:20:50

an der Gesellschaft teilhaben zu können.

1:20:52

Ja, ganz herzlichen Dank. Laila Abdul-Rahman.

1:20:56

Sie sagt im Interview mit der Lage der Nation, der Begriff der

1:20:59

Clan-Kriminalität ist wissenschaftlich unscharf, er

1:21:02

ist eigentlich überflüssig, und er behindert die Integration

1:21:06

und die Prävention von Kriminalität. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit

1:21:10

und für dieses Interview.

1:21:11

Ja, vielen Dank für das Gespräch.

1:21:12

Wir springen

1:21:14

geografisch jetzt

1:21:17

in den Südosten von Thüringen,

1:21:19

und zwar in den Saale-Orla-Kreis. Da spielt unser nächstes Thema oder

1:21:23

zumindest der Aufhänger für unser nächstes Thema.

1:21:27

Der Saale-Orla-Kreis war in den letzten Tagen ziemlich groß in den

1:21:30

Medien, weil Asylsuchende

1:21:33

dort verpflichtet werden, gemeinnützige Arbeit zu

1:21:36

verrichten. Also da geht es zum Beispiel um so was wie Laubhaken

1:21:39

rund um ihre Unterkunft.

1:21:42

Und sie sollen dafür 0,80 €

1:21:44

pro Stunde bekommen. Es ist also nur ein Bruchteil

1:21:47

dessen, was man sonst als Mindestlohn verdient in Deutschland.

1:21:50

Wer sich weigert, diese

1:21:52

Arbeiten zu verrichten, dem sollen die Sozialleistungen gekürzt werden.

1:21:56

Zunächst einmal muss man sehen, juristisch ist das im Prinzip

1:22:00

gestattet. Rechtsgrundlage ist

1:22:02

schon seit den 90er Jahren,

1:22:04

seit 1993 Paragraph fünf

1:22:06

des Asylbewerberleistungsgesetz,

1:22:09

der da sagt:

1:22:11

"Im Übrigen sollen so weit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei

1:22:14

staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur

1:22:18

Verfügung gestellt werden, wenn das

1:22:20

Arbeitsergebnis der Allgemeinheit

1:22:22

dient."

1:22:23

Juristisch also ist das durchaus machbar, wenngleich die

1:22:26

Rechtsgrundlage dafür natürlich aus ganz anderen Zeiten stammt, nämlich

1:22:29

als wir in Deutschland eine relativ hohe Arbeitslosigkeit hatten.

1:22:33

Ganz anders als heute, wo ja Arbeitskräftemangel herrscht.

1:22:36

Ja, aber grundsätzlich ja, kann man natürlich sagen, klingt das

1:22:39

erst mal sinnvoll. Warum sollen Geflüchtete

1:22:42

sich nicht nützlich machen?

1:22:44

Und der CDU Landrat im Saale-Orla-Kreis der heißt Christian

1:22:47

Herrgott, der argumentiert

1:22:49

im Deutschlandfunk auch so ähnlich.

1:22:52

Wir möchten diejenigen, die zu uns kommen und die ja mindestens in den

1:22:55

ersten drei Monaten nicht arbeiten dürfen nach den Gesetzlichkeit

1:23:00

sofort abholen und auch in eine Tagesstruktur und eine sinnvolle

1:23:03

Tätigkeit bringen und danach die Möglichkeiten schaffen,

1:23:07

dass sie auch zügig, wenn es rechtlich möglich ist, in den ersten

1:23:10

Arbeitsmarkt integriert werden. Denn jeder, der nicht von

1:23:12

Sozialleistungen leben muss sondern

1:23:14

sein Leben selbst bestimmen kann, ist für uns und aus unserer Sicht

1:23:17

ein großer Vorteil.

1:23:18

Also ich bringe es noch mal auf den Punkt. Er sagt, es ist

1:23:21

besser, wenn jemand nicht rumsitzt

1:23:23

und ein bisschen Arbeit macht, egal

1:23:25

welcher Art diese Arbeit auch ist. Und aus seiner Sicht dient das

1:23:29

wirklich der Integration in den Arbeitsmarkt.

1:23:31

Jetzt finde ich, kann man aber oder muss man trotzdem fragen, dient

1:23:35

diese gemeinnützige Arbeit wirklich

1:23:37

der Integration in den Arbeitsmarkt?

1:23:39

Ja, ich bin da auch so ein bisschen skeptisch, denn das ist ja eben

1:23:42

gerade kein Arbeitsmarkt im engeren Sinne, sondern das ist eben dann,

1:23:45

keine Ahnung, der Betreiber des Asylbewerberheims, bei dem man da

1:23:48

arbeitet. Und man verdient natürlich auch bestenfalls ein Taschengeld.

1:23:52

Wenn man drei Stunden arbeitet, hat man 2,40 € in der Tasche.

1:23:55

Das reicht kaum für ein Eis. Also das ist sehr die Frage,

1:23:59

inwieweit das tatsächlich zu mehr Autonomie führt.

1:24:02

Es spart jedenfalls auch keine Leistung, wenn man natürlich, wenn

1:24:05

man so extrem wenig den Menschen bezahlt, dann auch nicht weniger

1:24:08

an Sozialleistungen zahlen kann. Und ich weiß auch nicht, ob es dem

1:24:10

Spracherwerb so dient, wenn man dann eben in der Unterkunft

1:24:14

und eben ohne deutschsprachige Kollegen arbeitet oder Kolleginnen.

1:24:19

Also ich glaube, das mit der Integration, das ist

1:24:22

ehrlich gesagt, sagen wir mal vorsichtig, eine

1:24:25

Hoffnung. Aber ob die sich so erfüllen wird?

1:24:28

Ich finde aber noch viel spannender die Frage, warum muss man denn die

1:24:31

Menschen überhaupt zwangsweise zur Arbeit bringen,

1:24:35

wenn man sie doch auf der anderen Seite nicht arbeiten lässt?

1:24:37

Genau das ist nämlich

1:24:40

das, wie ich finde, Absurde. In den ersten Jahren haben

1:24:42

Geflüchtete oft ja ein de facto Arbeitsverbot.

1:24:45

Also wir haben gerade schon gehört, Christian Herrgott hat das auch gesagt. In den ersten drei Monaten

1:24:49

sind sie vollständig ausgeschlossen vom Arbeitsmarkt.

1:24:51

Und selbst danach brauchen sie eine Genehmigung vom Amt,

1:24:55

die oft einfach nicht so leicht zu kriegen ist. Das dauert oft ewig,

1:24:59

die kommt teilweise auch gar nicht.

1:25:01

Und wenn Ämter überlastet sind, muss man es sozusagen gar nicht

1:25:05

probieren. Du hast da ein paar Beispiele auf Lager, oder?

1:25:07

Ja, das war vor einiger Zeit mal ausführlich, ich glaube in der

1:25:10

Süddeutschen Zeitung Thema. Die haben sich mal die katastrophale

1:25:13

Situation der Stuttgarter Ausländerbehörde angeschaut.

1:25:16

Da müssen irgendwie

1:25:18

bundesweit Menschen eine Erlaubnis beantragen, wenn sie arbeiten

1:25:21

wollen. Und sie müssen sogar eine Erlaubnis beantragen, wenn sie

1:25:24

einfach nur eine Arbeit über ein paar Monate hinaus fortsetzen

1:25:27

wollen. Und das führt dazu, dass teilweise Menschen, die längst

1:25:30

zum Beispiel als Krankenschwester arbeiten, ihre Arbeit aufgeben

1:25:33

müssen, obwohl, wie man weiß, in einigen Kliniken Arbeitskräftemangel

1:25:36

herrscht. Einfach deswegen, weil sie keinen Termin in der

1:25:38

Ausländerbehörde bekommen. Und in Berlin ist natürlich die

1:25:42

Behörde auch im Zweifel überlastet. Also, ich finde das so

1:25:44

problematisch, wenn man immer so tut, Menschen wollten nicht

1:25:47

arbeiten. In der Praxis ist es einfach so,

1:25:50

dass wir den Menschen reichlich

1:25:52

Steine in den Weg legen. Es stimmt einfach nicht zu sagen,

1:25:56

die wollen alle nicht, sondern die allermeisten Geflüchteten, bis sie

1:25:59

anerkannt sind mal irgendwann, dürfen schlicht und ergreifend nicht

1:26:02

arbeiten.

1:26:03

Und ich finde, da kommt ja noch ein Aspekt dazu, wenn man

1:26:06

sagt, ja, wir müssen jetzt Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit

1:26:09

verpflichten, das sendet ja auch

1:26:11

so ein Signal, das

1:26:14

eigentlich befeuert, dass

1:26:16

Menschen, die hierherkommen, eigentlich nur rumsitzen

1:26:19

oder rumliegen wollen und dass man

1:26:21

diesen Schritt gehen muss, sagen muss, wir verpflichten euch jetzt

1:26:24

zur Arbeit. Also da gab es auf Instagram eine

1:26:27

Äußerung von Orkan Özdemir von der SPD, Der ist Mitglied des

1:26:31

Berliner Abgeordnetenhauses.

1:26:33

Und der schrieb: "bevor man sie zwingt, für 0,80 € gemeinnützige

1:26:36

Arbeit zu leisten, sollte man Geflüchteten erlauben zu arbeiten.

1:26:40

Es ist absurd. Geflüchtete haben in den ersten

1:26:43

Jahren selten eine Arbeitserlaubnis. Und dann wird suggeriert, sie würden

1:26:46

nicht arbeiten wollen, sie seien faul, man müsste sie zwingen.

1:26:49

Geflüchtete wollen arbeiten,

1:26:51

Geflüchtete wollen sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen.

1:26:54

Was für eine absurde und ekelhafte Diskussion. Dieser Ekeldiskurs

1:26:58

wird nur von dieser quasi Sklaverei überboten. Das sind meine zwei Cent

1:27:02

zur Sache."

1:27:03

Klare Worte. Ich habe noch eine andere Aussage gefunden von

1:27:07

der Thüringer Integrationsbeauftragten.

1:27:09

Die heißt Mirjam Kruppa und

1:27:11

die hat ihre Ablehnung

1:27:13

dieses Vorschlags so begründet.

1:27:15

Es ist wirklich so, dass es eine gewisse

1:27:18

populistische Wirkung hat zu sagen, die Menschen wollen nicht arbeiten,

1:27:22

die sitzen rum und tun nichts. Und das halte ich für wirklich

1:27:25

gefährlich, dass man ständig suggeriert, hier sind Menschen, die

1:27:28

nicht wollen. Und das stimmt nicht.

1:27:31

Man findet in den Gemeinschaftsunterkünften, in den

1:27:33

Erstaufnahme viele Freiwillige, die das tun, auch für so wenig

1:27:37

Geld.

1:27:37

Das heißt, es funktioniert

1:27:40

ja schon. Also wenn man ganz konkret auf Thüringen guckt, gibt es

1:27:43

ganz viele Menschen, die wollen auch diese Freiwilligenarbeit

1:27:47

verrichten. Das bedeutet, dieser Zwang

1:27:50

dahinter ist eigentlich auch auf dieser Ebene gar nicht nötig.

1:27:53

Stellt sich natürlich die Frage, was würde besser funktionieren?

1:27:56

Im Grunde ist es schon angeklungen in allen Statements, die wir jetzt

1:27:59

hatten, wie wär's denn, wenn wir die Menschen einfach mal arbeiten lassen

1:28:02

auf dem ganz normalen Arbeitsmarkt, wo es ja genügend Bedarf gibt

1:28:05

anstatt mit der Peitsche zu drohen?

1:28:08

Im Ansatz hat auch das Bundeskabinett das Problem erkannt.

1:28:11

Es hat im November nämlich schon beschlossen, Arbeitsverbote lockern

1:28:14

zu wollen. Unter anderem ist der Plan, dass

1:28:17

Ausländerbehörden die Zustimmung zur Beschäftigung

1:28:21

künftig im Regelfall erteilen

1:28:23

sollen, auch bei geduldeten

1:28:26

Ausländern. Bisher ist dies wohl nur eine

1:28:28

Kannregelung, die im Ermessen der Behörde liegt. Das aber würde

1:28:32

jedenfalls nach dem, was wir so in den letzten Monaten in verschiedenen

1:28:35

Hintergrundgesprächen eben mit Menschen gehört haben, die zum

1:28:38

Beispiel selber versuchen, Geflüchtete einzustellen oder die

1:28:41

die als Anwältin vertreten. Das würde an dem eigentlichen

1:28:44

Problem nicht so wahnsinnig

1:28:46

viel ändern.

1:28:47

Weil selbst wenn es eine

1:28:49

Regelung gibt, dass alle eine

1:28:51

Genehmigung bekommen, müssen sie sich diese Genehmigung ja trotzdem

1:28:54

vom Amt holen. Das heißt, die Bürokratie oder

1:28:56

dieser bürokratische Schritt, der ist ja immer noch da.

1:28:59

Und diese bürokratische Hürde, wenn man jetzt wirklich was ändern

1:29:02

wollte, dann braucht es halt mehr.

1:29:04

Dann würde man konsequenterweise sagen müssen, jeder darf

1:29:08

arbeiten, meinetwegen nach den ersten drei Monaten, wo man sagt,

1:29:11

wir machen jetzt hier erst mal so eine Art Onboarding in Deutschland,

1:29:13

aber und dann muss man halt den Arbeitsvertrag bei der Behörde

1:29:17

melden und wenn die ein Problem damit hat, dann kann sie sich

1:29:21

ja immer noch beim Arbeitgeber melden. Man würde also quasi Regel

1:29:24

und Ausnahme verkehren. Heute muss jeder sich erst mal

1:29:27

bei der Behörde melden, muss bitten, arbeiten zu dürfen, dann erst kann

1:29:30

er anfangen zu arbeiten. In Zukunft würde man anfangen zu

1:29:32

arbeiten. Man meldet seinen Arbeitsvertrag bei der Behörde und

1:29:36

wenn die dann ein Problem damit hat, dann grätscht sie halt rein.

1:29:39

Diese Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, die

1:29:41

würde ohne Ende Arbeitszeit bei den Behörden sparen.

1:29:44

Das würde den Arbeitsmarkt entlasten, weil halt ganz viele

1:29:47

Unternehmen mit einem Mal wieder Arbeitskräfte finden würden.

1:29:49

Und es bringt halt echte Jobs. Nicht 0,80 € Jobs, sondern richtige

1:29:53

Jobs bei richtigen Unternehmen, würde wirklich was für die Wirtschaft

1:29:56

tun und es würde die Integration fördern.

1:29:58

Und ich finde, selbst wenn man

1:30:01

nicht sofort diesen, ich würde ihn schon als radikalen Schritt

1:30:04

bezeichnen, dass man sagt, man macht da jegliche Bürokratie weg,

1:30:08

könnte man ja auch Strukturen schaffen, die eben diesen Schritt

1:30:11

in den ersten Arbeitsmarkt erleichtern. Man könnte ja auch

1:30:14

Programme auflegen, dass man Praktika total fördert oder dass

1:30:17

man es wirklich schafft, dass Menschen eben aus ihrer Unterkunft

1:30:21

schnell rauskommen, um

1:30:23

wirklich auch überhaupt zu sehen, was gibt es denn für Möglichkeiten?

1:30:27

Also das muss ja gar nicht unbedingt aus meiner Sicht sofort dieses

1:30:30

jegliche Bürokratie muss weg sein. Aber einfach diesen Willen zu

1:30:33

zeigen, dass man wirklich auch die Menschen integrieren will und das

1:30:36

nicht mit so Alibilösungen wie diesen 0,80 € Jobs zu machen,

1:30:40

da wäre schon mal viel geholfen aus meiner Sicht.

1:30:42

Ja, also im Hintergrund hören wir so aus der Ampelkoalition, dass

1:30:45

tatsächlich in der grünen Fraktion es große Sympathien dafür gibt.

1:30:49

Die SPD Fraktion ist gespalten. Ich hatte da auch schon im letzten

1:30:52

Jahr Hintergrundgespräche mit einzelnen Abgeordneten, die total

1:30:55

dafür sind, diese Bürokratie abzubauen und zu sagen,

1:30:58

Arbeitsverhältnisse müssen nicht vorher genehmigt, sondern nur

1:31:00

hinterher gemeldet werden. Ist aber in der Fraktion jedenfalls

1:31:04

noch nicht Mehrheitslinie, wie man hört. Kanzleramt und FDP

1:31:07

gelten bislang als skeptisch, aber das ist halt hinter den Kulissen ein

1:31:10

ganz großes Thema. Und ich glaube, es verdient ein Thema zu werden,

1:31:14

über das Deutschland breiter diskutiert. Ich denke, SPD und FDP

1:31:17

oder die SPD-Spitze und FDP sollten da ihren Widerstand aufgeben.

1:31:21

Denn das scheint mir eine der ganz zentralen Hürden zu sein, dieses

1:31:24

Klischee vom faulen Ausländer,

1:31:26

der nur die Sozialkassen belastet. Das begegnet uns auch

1:31:29

in der Lage ständig. Das ist zwar ein falsches Klischee,

1:31:32

aber es ist natürlich schon insofern was dran, als wir momentan viele

1:31:35

Menschen nicht arbeiten lassen. Das muss man einfach sehen.

1:31:37

Die Menschen sind nicht faul, aber wir zwingen sie zur Passivität.

1:31:40

Und das ist halt einfach absurd. Wir können nicht auf der einen Seite

1:31:43

sagen, hallo, wir wollen Sozialleistungen sparen, wir wollen

1:31:45

keine Migration in die Sozialsysteme und dann auf der anderen Seite

1:31:48

sagen, du darfst aber auch nicht arbeiten, das passt nicht zusammen.

1:31:50

Insofern wünsche ich mir da eine breite Diskussion und hoffe, die

1:31:53

Ampel rauft sich zusammen

1:31:55

und dreht hier an der richtigen Schraube.

1:31:58

Zum guten Schluss noch eine gute Nachricht aus Frankreich.

1:32:02

Da ist eine historische Entscheidung gefallen. Frankreich ist nämlich

1:32:06

weltweit das allererste Land, das das Abtreibungsrecht in die

1:32:09

Verfassung eingeschrieben hat.

1:32:11

Im historischen Schloss von Versailles hat der Kongress aus

1:32:14

Nationalversammlung und Senat abgestimmt.

1:32:16

Und das klang dann so:

1:32:19

Pour l‘adoption: 780. Contre: 72.

1:32:26

Ja, das war die Stimme der Präsidentin der Nationalversammlung

1:32:30

Yaël Braun-Pivet. Die verliest das Abstimmungsergebnis.

1:32:32

780 Abgeordnete

1:32:34

der Nationalversammlung und des Senats haben in Versailles

1:32:38

im Schloss dafür gestimmt, das

1:32:40

Abtreibungsrecht in die französische Verfassung aufzunehmen.

1:32:43

Nur 72 waren dagegen.

1:32:45

Also eine 3/5 Mehrheit war hier nötig in einer gemeinsamen

1:32:49

Sitzung der beiden Kammern des französischen Parlaments.

1:32:52

Und diese 3/5 Mehrheit ist locker erreicht worden.

1:32:55

Und das gilt als historische Entscheidung auch deswegen, weil

1:32:59

eben auch viele konservative Menschen sich für diesen

1:33:02

Vorstoß erwärmen konnten.

1:33:04

Jana, wie kam es denn dazu, dass es gerade jetzt zu einer solchen

1:33:08

historischen Entscheidung kommen konnte?

1:33:09

Ja, das war tatsächlich die Überlegung, dass jetzt die Zeiten so

1:33:13

sind, dass es einen Konsens gibt,

1:33:15

dass es wichtig ist,

1:33:17

wirklich abzusichern, dass Frauen auch in Zukunft, wenn sich

1:33:20

möglicherweise politische Mehrheiten ändern, weiter abtreiben

1:33:23

dürfen. Also das ist tatsächlich vor dem Hintergrund des

1:33:27

verschärften Abtreibungsrechts in den USA passiert.

1:33:30

Im Sommer 2022 hat der Supreme Court ja das

1:33:33

sogenannte Roe versus Wade gekippt,

1:33:36

also damit das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche.

1:33:39

Das war in Frankreich groß

1:33:41

diskutiert worden. Das war dann auch ein bisschen die

1:33:43

Initialzündung, um zu sagen, wir wollen das sicherer machen.

1:33:47

Aber es gibt natürlich auch andere Beispiele. Polen hat das

1:33:49

Abtreibungsrecht extrem verschärft. Da gibt es Frauen, die in andere

1:33:53

Länder reisen, um abtreiben zu können. Das heißt, die Idee

1:33:57

dahinter, die Zeiten in Frankreich

1:33:59

sind gerade so, dass es ein Konsens gibt, dass wir das absichern müssen.

1:34:02

Und deswegen tun wir es.

1:34:03

Ja, in Polen gibt es ja sogar immer wieder Nachrichten, dass Frauen

1:34:06

zu Tode kommen, weil ihnen Ärztinnen und Ärzte eine

1:34:10

lebensrettende Abtreibung verweigern. Also wenn es

1:34:12

Komplikationen gibt bei der Schwangerschaft. Das hat also

1:34:14

wirklich dramatische Konsequenzen, dieses extrem drakonische polnische

1:34:18

Recht. Wobei da natürlich die Hoffnung besteht, dass das unter der

1:34:20

neuen Mehrheit im Sejm jetzt auch wieder reformiert werden wird.

1:34:23

Aber diese Entscheidung aus Frankreich bedeutet einfach, keine

1:34:26

Regierung in Frankreich kann Abtreibung einfach wieder so

1:34:29

verbieten. Wobei man sagen muss, es gibt da ja

1:34:31

noch so ein paar Nuancen. Es steht ja jetzt nicht einfach nur

1:34:34

in der Verfassung, jede Frau hat

1:34:36

immer das Recht, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Es ist ja so

1:34:39

ein bisschen anders geregelt.

1:34:40

Ja, genau das finde ich ganz spannend die Nuance. In der Verfassung steht

1:34:43

strenggenommen nicht das Recht auf

1:34:45

Abtreibung, sondern nur

1:34:47

die Freiheit, eine solche vorzunehmen.

1:34:50

Also da steht dann ganz konkret "la liberté garantie à la femme d’avoir recours à une IVG".

1:34:56

Also eine "interruption volontaire de grossesse",

1:34:59

also eine freiwillige, ein freiwilligen Abbruch der

1:35:02

Schwangerschaft. Aber Ulf, du bist jetzt hier der

1:35:05

Jurist. Was macht das für einen Unterschied? Also nicht das Recht

1:35:07

auf Abtreibung, sondern die Freiheit zur Abtreibung.

1:35:10

Ja, das ist, das ist ganz interessant. Also die Norm

1:35:14

in der Verfassung, der Artikel 34, der da geändert wurde, regelt

1:35:17

eigentlich vor allem die Spielräume des Gesetzgebers.

1:35:20

Das heißt also, es ist jetzt geregelt worden, dass der

1:35:22

Gesetzgeber die Details

1:35:24

bestimmen kann, der liberté

1:35:26

garantie aller femme usw., also quasi der garantierten

1:35:30

Freiheit. Der Gesetzgeber kann die Umstände regeln, unter denen diese

1:35:34

garantierte Freiheit wahrgenommen

1:35:36

werden kann. Das war quasi so eine Art politischer Kompromiss.

1:35:38

Man hat nicht einfach nur ein Abtreibungsrecht reingeschrieben,

1:35:41

sondern man hat reingeschrieben ein Recht des Gesetzgebers, etwas zu

1:35:44

regeln. Aber implizit und in dieser Norm enthalten ist

1:35:47

eben auch diese liberté garantie. Und das heißt also, es gibt eben

1:35:51

schon eine Garantie des Abtreibungsrecht, wenn auch

1:35:53

gleichsam ein bisschen verklausuliert versteckt fast schon,

1:35:56

in einer Regelung der Kompetenzen

1:35:58

des französischen Gesetzgebers.

1:36:01

Und warum hat man das dann so kryptisch versteckt und

1:36:04

verklausuliert?

1:36:04

Das hat vor allem technische Gründe. Also die Grundrechte in der

1:36:07

französischen Verfassung sind vor allem garantiert durch Verweis

1:36:11

zum einen auf die Erklärung der

1:36:13

Bürger- und Menschenrechte von 1789,

1:36:15

also ein Text aus der Französischen Revolution und zum zweiten durch

1:36:18

einen Verweis auf die Verfassung der Vierten Republik von 1946.

1:36:22

Und weil eben die Grundrechte so durch Verweisung geregelt sind, ist

1:36:26

es ein bisschen schwierig. Man kann jetzt ja nicht mehr die Erklärung

1:36:28

von 1789 ändern. Man kann auch die Verfassung von

1:36:30

1946 nicht mehr ändern. Und deswegen, wenn man weitere

1:36:34

Grundrechte garantieren will, dann steht man in Frankreich immer so ein

1:36:36

bisschen vor dem Problem, wie man das rechtstechnisch eigentlich

1:36:39

abbildet im Verfassungstext. Und in diesem Fall hat sich jetzt

1:36:42

eben eine breite, vor allem überparteiliche Mehrheit darauf

1:36:45

geeinigt, regeln wir doch einfach, was der Gesetzgeber so kann zum

1:36:48

Thema Abtreibung und

1:36:50

versteckt gleichsam oder eingebaut in dieser Regelung der

1:36:53

Gesetzgebungskompetenzen steht dann eben die liberté garantie, die

1:36:57

garantierte Freiheit der Frauen

1:36:59

in Frankreich.

1:37:00

Dann kommen wir mal zurück aus dem deep dive ins französische

1:37:03

Recht oder aus dem französischen Recht. Es gab ja ganz viele

1:37:06

Reaktionen auch darauf.

1:37:08

Der Eiffelturm hat total geglitzert,

1:37:11

während diese Abstimmung stattgefunden hat.

1:37:13

Außerdem wurden da ja so Botschaften drauf projiziert.

1:37:16

#moncorpsmonchoix. Also mein Körper, meine Wahl

1:37:20

zum Beispiel. Es gab total den

1:37:23

Jubel in Frankreich, aber auch

1:37:26

im Schloss Versailles. Also muss ich sagen, als ich diese

1:37:29

Bilder angeschaut habe, habe ich auch gedacht, nice, da ist

1:37:32

wirklich eine Erfolgsnachricht passiert und da hat wirklich jemand,

1:37:36

also Frankreich hat es geschafft, die Verfassung krisenfester

1:37:39

zu machen, wenn man so will.

1:37:40

Ja, so jedenfalls hat die französische Gesellschaft, muss man

1:37:44

ja sagen, von der Linken bis zur Rechten parteiübergreifend mit

1:37:47

einer breiten Koalition

1:37:49

geschafft, bestimmte Rechte,

1:37:51

in diesem Fall eben ein ganz zentrales Recht für Frauen, in der

1:37:55

Verfassung zu verankern. Und ich glaube, da spüren einfach

1:37:58

viele, dass das ein großer Erfolg ist, denn auch Frankreich ist ja

1:38:00

gespalten politisch, ähnlich

1:38:02

wie Deutschland. Die Rechtsextremisten in Frankreich

1:38:05

haben sogar schon deutlich höhere Stimmenanteile, sind schon viel mehr

1:38:08

noch verwurzelt im französischen politischen System.

1:38:11

Und da gilt es einfach als großer Erfolg, dass man noch mal

1:38:15

gleichsam parteiübergreifend die Kraft gefunden hat, eine solche

1:38:19

grundsätzliche Regelung zu treffen. Und rechtlich ist Frankreich da

1:38:23

einfach eine ganze Ecke weiter als Deutschland, muss man sich

1:38:26

überlegen. In Deutschland gibt es eben keine explizit

1:38:28

verfassungsrechtliche Garantie,

1:38:31

Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen, sondern es gibt quasi die

1:38:33

Grundrechtsabwägung zwischen den Rechten des werdenden Lebens auf

1:38:37

der einen Seite und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auf

1:38:39

der anderen Seite. Und das Bundesverfassungsgericht hat

1:38:42

ja in den 90er Jahren sogar gesagt, dass eine Abtreibung nie

1:38:46

rechtmäßig sein darf. Sie darf nur straffrei bleiben.

1:38:49

Also der Gesetzgeber ist verpflichtet, sie als rechtswidrig

1:38:52

zu betrachten. Er darf sie nur straffrei stellen.

1:38:54

Und das ist die Regelung, die wir heute haben in Deutschland die

1:38:56

sogenannte Fristenlösung mit Beratungspflicht.

1:38:59

Genau. Also das muss man, finde ich noch mal betonen.

1:39:02

Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland gemäß Paragraf 218

1:39:06

Strafgesetzbuch grundsätzlich

1:39:08

für alle Beteiligten strafbar. Und du hast es genannt, Ulf, es

1:39:11

gibt eine Straffreiheit, wenn sich die Schwangere ergebnisoffen in so

1:39:13

einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lässt.

1:39:16

Aber es ist eine Straftat, abzutreiben in Deutschland nach wie

1:39:20

vor.

1:39:20

Ja, es sei denn, man hält eben diese Spielregeln ein.

1:39:22

Dann ist es keine Straftat. Das ist so ein bisschen so diese

1:39:25

rechtliche Grauzone, die der Gesetzgeber da geschaffen hat.

1:39:28

Aber nachdem ihn das Bundesverfassungsgericht dazu

1:39:31

verpflichtet hatte, rechtswidrig, aber straffrei, weil nicht

1:39:34

tatbestandsmäßig, also allen Strafrechtsdogmatiker:innen, rollen

1:39:37

sich da immer gleich die Fußnägel hoch, weil das sonst an keiner

1:39:39

Stelle so funktioniert im deutschen Strafrecht. Aber gut, das war

1:39:42

offensichtlich der Kompromiss, den die Richterinnen und Richter in

1:39:44

Karlsruhe da gefunden haben.

1:39:47

Aber wie gesagt, der überzeugt natürlich heute viele nicht

1:39:50

mehr, insbesondere für die Rechtswidrigkeit.

1:39:53

Nämlich dazu, dass es zum Beispiel immer wieder Probleme gibt bei der

1:39:56

Kostenübernahme durch Krankenkassen und so. Immerhin hat die

1:39:59

Bundesregierung ja eine Kommission eingesetzt, die zurzeit

1:40:03

Alternativen zur geltenden Rechtslage prüfen soll,

1:40:07

insbesondere nämlich, ob Abtreibungen möglicherweise auch

1:40:09

außerhalb des Strafrechts geregelt werden können.

1:40:12

Im April sollen erste Ergebnisse vorliegen. Ich sage mal, wir bleiben

1:40:16

dran. Wir sind gespannt, ob diese Kommission da neue Regelung

1:40:19

vorschlagen wird.

1:40:20

Dann war's das für heute. Schön, dass ihr dabei wart mit der

1:40:24

Lage der Nation Nummer 372.

1:40:27

Die politische Lage in Deutschland und der Welt ist damit abschließend

1:40:30

und umfassend erörtert, wie ihr das von uns gewohnt seid.

1:40:32

Wir hoffen, diese Folge hat euch gefallen. Wir hoffen, ihr hattet

1:40:35

insbesondere viel Freude an unserer

1:40:37

Moderatorin Jana Münkel, die heute zum zweiten Mal dabei war.

1:40:41

Wir wünschen einen schönen Rest der Woche. Ein schönes Wochenende.

1:40:44

Bleibt uns gewogen. Bis ganz bald und tschüss!

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